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Auszüge aus der Flugschrift von Gabriel Riesser zur Emanzipation der Juden (1831)

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Von der anderen Seite machen die Gegner der bürgerlichen Gleichstellung der Juden, besonders in den Ländern, wo es sich noch um Gewerbefreiheit handelt, gar kein Geheimniß daraus, daß sie die ausschließenden Gesetze als ein Mittel der Hemmung der Konkurrenz betrachten*)! Es ist eine traurige, in Deutschland allein heimische Erscheinung, daß bei der Beurtheilung einer Frage, die die edelste Freiheit, die höchsten moralischen Interessen der Menschheit angeht, so erbärmliche Rücksichten einzuwirken im Stande sind. Nie hat ein Britte, nie hat ein Franzose es gewagt, in einer solchen Sache solche Argumente geltend zu machen: und fürwahr nie würde es ein Deutscher gewagt haben, wenn Deutschland eine Gesetzgebung hätte! Nur in den engen Kreisen der allerkleinsten Staaten haben solche Rücksichten je auch nur einen Augenblick das Uebergewicht gewinnen können.

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4. Das Problem also, mit dessen Lösung auf dem Papiere sich Hr. Dr. P., wenn es ihm Vergnügen macht, gern weiter beschäftigen möge, ist im Leben längst gelöst,**) und die vorliegende Frage ist nicht so zu stellen, ob die Gesetzgebung wohl daran thun werde, die Juden als der Nation des Staates (nach dem Ausdruck des Hrn. Dr. P.) angehörig, anzuerkennen, sondern ob sie wohl daran gethan habe, und ob sie die aus dieser Anerkennung in einfacher Konsequenz nothwendig hervorgehenden Folgen in Wirksamkeit treten lassen solle. Diese Frage ist nun zu erörtern. Was Hr. Dr. P. für seine Ansicht anführt, läuft alles darauf hinaus, daß die Juden nach eigenen Gesetzen leben. Um hier klar zu sehen, ist nichts erforderlich, als daß man solche Gesetze, welche bürgerliche Gegenstände betreffen, von solchen trenne, die von Denen, die sie halten, als aus der Religion einzig und allein hervorgehend, betrachtet werden. Nach eignen Gesetzen über Heirathen,***) Ehescheidungen, Erbschaften, Kontrakte und ähnliche Verhältnisse leben die Juden sicherlich nicht in dem zwanzigsten, eigne Gerichte zur Entscheidung nach diesen Gesetzen haben sie nicht in dem funfzigsten Theile von Deutschland mehr+). Wo dergleichen noch existirt, wird sein kümmerliches Dasein nur durch die unverzeihliche Trägheit einer Gesetzgebung gefristet, die den alten Wust anzurühren sich scheuen muß, um nicht an die Forderungen des Rechts und der Staats-Klugheit, rücksichtlich der Juden überhaupt, gemahnt zu werden. Allenthalben aber wird die Gesammtheit der Juden mit Freuden alles dahin Gehörige aufgeben, wenn man ihnen nur ein beschränktes Bürgerrecht, geschweige denn, wenn man ihnen die volle rechtliche Gleichheit dafür gestattet. Aber in den Staaten, wo die Juden Bürger sind, dürften solche Eigenheiten ohnehin auf keine Weise geduldet werden, da sie der Stellung des Bürgers durchaus widersprechen; die allgemeine Erfahrung zeigt aber auch, daß die Juden ihrer Aufhebung nie und nirgends Schwierigkeiten in den Weg legen.




*) Ich habe schon früher den Würtembergischen Apotheker angeführt, der den Juden vor allem untersagt wissen wollte, Apotheker zu werden. Mit siegender Kraft ist jener Charakter der Opposition überhaupt von dem Minister des Innern in der Würtembergischen Kammer bezeichnet worden. Man vergleiche die angeführten Verhandlungen S. 45-46.
**) Die Staaten, in denen die Juden wirklich noch nicht Staats-Bürger sind, sind gerade die oben genannten, in denen ihnen auch die Gewerde-Freiheit fehlt. Da nun in diesen der Thatbestand ein ganz anderer ist, als der, von welchem Hr. Dr. P. ausgeht da hier noch das fehlt, was er selbst eingeräumt haben will, und allenthalben eingeräumt glaubt, so paßt sein Raisonnement auf keinen einzigen Staat.
***) Es versteht sich, daß, so weit die Ehe nach den Gesetzen des Staates eine religiöse Handlung ist, sie nach den Vorschriften der Religion der Kontrahirenden vollzogen werden muß.
+) Uebrigens waren diese Gerichte, wo sie bestanden, aus dem Gesichtspunkte von Kompromiß-Gerichten zu betrachten, ungefähr so wie die audicatia episcoporum für Civilsachen nach Justinianischem Recht.

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