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Berthold Auerbach: Einleitung zu Schwarzwälder Dorfgeschichten (1844)

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Ich habe ohne Scheu ein bestimmtes Dorf, meinen Geburtsort genannt. Nach Nachrichten von dort ist die früher veröffentlichte Erzählung: „Die Kriegspfeife", in das Anzeigeblatt: Der Schwarzwälder-Bote aufgenommen worden; die Bauern sind nun über mich höchlichst ergrimmt und sagen: das sei Alles erlogen und ich hätte sie lächerlich machen wollen. Man sieht, daß man in höheren wie in niederen Kreisen gern einen fingirten Schauplatz für Darstellungen aus der Gegenwart verlangt. Ich halte es aber für Pflicht, daß wir, je mehr wir dem Leben nahe treten wollen, auch ohne Zagen ein Wirkliches zum Schauplatz der Darstellungen wählen und mit Namen nennen. Durch den historischen Roman suchte man den realen Boden zu gewinnen, und hier durfte der Dichter ohne Scheu einen bestimmten Ort nennen. Dieß Letztere ist aber auch nicht minder bei Darstellungen aus der Zeit anzuwenden; dadurch wird das Zeitbild zum historischen. Die neuere Volksdichtung kann damit zugleich mit Bewußtseyn aufgreifen und fortsetzen, was ehedem die Sage in rein naiver Weise that, indem sie bestimmte Orte mit ihren Gebilden umwob.

Ich habe es versucht, ein ganzes Dorf gewissermaßen vom ersten bis zum letzten Hause zu schildern; die vorkommenden Sitten und Gebräuche sind dem wirklichen Leben entnommen, so wie auch die Lieder aus keiner gedruckten Sammlung, sondern, so viel mir bekannt, bisher noch ungedruckt sind.

Neunzehn Jahre sind es, seitdem ich Dich verlassen, Du stiller Heimathsort, um Bahnen zu wandeln, die weit über Deine umfriedete Gemarkung hinausführen; der stille Zug der kindlichen Liebe hat meinen Geist wieder zu dir zurückgelenkt und mit namenlosen Bewegungen hieß ich die fast verklungenen Töne wieder erstehen. Vor meinem Fenster wallt der mächtige Rhein, diese Pulsader Deutschlands; ein glänzender Lichtstreif zieht sich, wie ein silbernes Band, von jenseits herüber, die Wellen zittern und glitzern im Mondlicht. Die Wellen des Neckars, die dort oben an meinem Heimathsorte vorbeirauschten – der große deutsche Strom hat sie freudig aufgenommen und trägt sie hinab in das Meer. – So mögen auch diese Gebilde, die ich hinaus sende ins Vaterland, aufgehen in dem Strom deutschen Lebens als eine bescheidene Welle, den heimischen Bergen entsprungen.
Mainz. Berthold Auerbach



Abgedruckt in Max Bucher, Werner Hal, Georg Jäger und Reinhard Wittmann, Hg., Realismus und Gründerzeit: Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848-1880, 2 Bände. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 1975, Band 2, S. 149-50.

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