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„Mit brennender Sorge”: Enzyklika über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich (14. März 1937)

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Wir sind, Ehrwürdige Brüder, nicht müde geworden, den verantwortlichen Lenkern der Geschicke Eures Landes die Folgen darzustellen, die aus dem Gewährenlassen oder gar aus der Begünstigung solcher Strömungen sich zwangsweise ergeben müßten. Wir haben alles getan, um die Heiligkeit des feierlich gegebenen Wortes, die Unverbrüchlichkeit der freiwillig eingegangenen Verpflichtungen zu verteidigen gegen Theorien und Praktiken, die – falls amtlich gebilligt – alles Vertrauen töten und jedes auch in Zukunft gegebene Wort innerlich entwerten müßten. Wenn einmal die Zeit gekommen sein wird, diese Unsere Bemühungen vor den Augen der Welt offenzulegen, werden alle Gutgesinnten wissen, wo sie die Friedenswahrer und wo die Friedensstörer zu suchen haben. Jeder, dessen Geist sich noch einen Rest von Wahrheitsempfinden, dessen Herz sich noch einen Schatten von Gerechtigkeitsgefühl bewahrt hat, wird dann zugeben müssen, daß in diesen schweren und ereignisvollen Jahren der Nachkonkordatszeit jedes Unserer Worte und jede Unserer Handlungen unter dem Gesetz der Vereinbarungstreue standen. Er wird aber auch mit Befremden und innerster Ablehnung feststellen müssen, wie von der anderen Seite die Vertragsumdeutung, die Vertragsumgehung, die Vertragsaushöhlung, schließlich die mehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung zum ungeschriebenen Gesetz des Handelns gemacht wurden.

Die von Uns trotz allem bezeigte Mäßigung war nicht eingegeben von Erwägungen irdischer Nützlichkeit oder gar unziemlicher Schwäche, sondern lediglich von dem Willen, mit dem Unkraut nicht etwa wertvolles Wachstum auszureißen; von der Absicht, nicht eher öffentlich zu urteilen, als bis die Geister für die Unentrinnbarkeit dieses Urteils reif geworden wären; von der Entschlossenheit, die Vertragstreue anderer nicht eher endgültig zu verneinen, als bis die eiserne Sprache der Wirklichkeit die Hüllen gesprengt hätte, in die eine planmäßige Tarnung den Angriff gegen die Kirche zu hüllen verstanden hatte und versteht. Auch heute noch, wo der offene Kampf gegen die konkordatsgeschützte Bekenntnisschule und wo die vernichtete Abstimmungsfreiheit der katholischen Erziehungsberechtigten auf einem besonders wesentlichen Lebensgebiet der Kirche den erschütternden Ernst der Lage und die beispiellose Gewissensnot gläubiger Christen kennzeichnen – rät Uns die Vatersorge um das Heil der Seelen, die etwa noch vorhandenen, wenn auch geringen Aussichten auf Rückkehr zur Vertragstreue und zu verantwortbarer Verständigung nicht unberücksichtigt zu lassen. Den Bitten des hochwürdigsten Episkopates folgend, werden Wir auch weiterhin nicht müde werden, bei den Lenkern Eures Volkes Sachwalter des verletzten Rechts zu sein und Uns – unbekümmert um den Erfolg oder Mißerfolg des Tages – lediglich Unserem Gewissen und Unserer Hirtenmission gehorchend einer Geisteshaltung zu widersetzen, die verbrieftes Recht durch offene oder verhüllte Gewalt zu erdrosseln sucht.

Der Zweck des gegenwärtigen Schreibens aber, Ehrwürdige Brüder, ist ein anderer. Wie Ihr Uns an Unserem Krankenlager liebevollen Besuch abgestattet habt, so wenden Wir Uns heute an Euch und durch Euch an die katholischen Gläubigen Deutschlands, die – wie alle leidenden und bedrängten Kinder – dem Herzen des gemeinsamen Vaters besonders nahe stehen. In dieser Stunde, wo ihr Glaube im Feuer der Trübsal und der versteckten und offenen Verfolgung als echtes Gold erprobt wird, wo sie von tausend Formen organisierter religiöser Unfreiheit umgeben sind, wo der Mangel an wahrheitsgetreuer Unterrichtung und normaler Verteidigungsmöglichkeit schwer auf ihnen lastet, haben sie ein doppeltes Recht auf ein Wort der Wahrheit und der seelischen Stärkung von dem, an dessen ersten Vorgänger das inhaltsschwere Heilandswort gerichtet war: »Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht wanke, und du hin wiederum stärke deine Brüder« (Luc. 22, 32).

Reiner Gottesglaube

Habet acht, Ehrwürdige Brüder, daß vor allem der Gottesglaube, die erste und unersetzbare Grundlage jeder Religion, in deutschen Landen rein und unverfälscht erhalten bleibe. Gottgläubig ist nicht, wer das Wort Gott rednerisch gebraucht, sondern nur, wer mit diesem hehren Wort den wahren und würdigen Gottesbegriff verbindet. Wer in pantheistischer Verschwommenheit Gott mit dem Weltall gleichsetzt, Gott in der Welt verweltlicht und die Welt in Gott vergöttlicht, gehört nicht zu den Gottgläubigen.

Wer nach angeblich altgermanisch-vorchristlicher Vorstellung das düstere unpersönliche Schicksal an die Stelle des persönlichen Gottes rückt, leugnet Gottes Weisheit und Vorsehung, die »kraftvoll und gütig von einem Ende der Welt bis zum andern waltet« (Weisheit 8,1) und alles zum guten Ende leitet. Ein solcher kann nicht beanspruchen, zu den Gottgläubigen gerechnet zu werden.

Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung –die innerhalb der irdischen Ordnung einen wesentlichen und ehren-gebietenden Platz behaupten – aus dieser ihrer irdischen Wertskala herauslöst, sie zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge. Ein solcher ist weit von wahrem Gottesglauben und einer solchem Glauben entsprechenden Lebensauffassung entfernt.

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