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Albrecht von Stosch an Graf Alfred von Waldersee über den Nachfolger Bismarcks (30. Januar 1890)

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ad 2. Die Kriegerkaste hat von jeher die Welt regiert. Es ist deshalb wunderbar, daß wir einen bürgerlichen Gouverneur im Elsaß haben, doch das gehört nicht hierher. Die Stellung des Deutschen Reiches nach außen ist ihrem Charakter nach eine militärische, und Bismarck hat nicht ohne Grund stets sich der Welt als Soldat gezeigt. Der letztere steht als solcher auch dem Kaiser am nächsten. Dazu kommt aber noch, daß der Soldat nicht nur im Reichstag, sondern auch im Bundesrat, im Ministerium über den Parteien steht. Gerade bei der großen Macht des Kanzlers muß der letztere nicht jenen die Herrschaft erstrebenden parlamentarischen oder bürokratischen Elementen entstammen, sondern nur aus des Kaisers Leuten.

ad 3. Nur wenn der Kanzler ganz des Kaisers Mann, ist seine große Macht erträglich und möglich. Nur wenn dieser Schlußstein der deutschen Einheit, der Reichskanzler, sicher und unverrückbar in seiner Lage, ist das Reichsgewölbe stark genug, alle gegen das Reich gerichteten Geschosse abzuhalten. Wäre es möglich, beim Kaiser gegen den Kanzler zu intrigieren, könnte man bei Vorlagen usw. annehmen, daß Kaiser und Kanzler nicht ganz einverstanden seien, dann ist letzterer ohnmächtig und müßte möglichst rasch entfernt werden.

ad 4. Das unerschütterliche Verhältnis zwischen Kaiser und einem neuen Kanzler würde auch denjenigen Maßregeln den notwendigen Stempel aufdrücken, welche notwendig erachtet werden, um dem Nachfolger Bismarcks eine breite Basis in der öffentlichen Meinung zu verschaffen. Ohne eine solche würde die Macht etwas schattenhaft werden.

Der Kanzler hat in den letzten Jahren trotz aller fortbestehenden Anerkennung seiner Verdienste um Vergangenheit und Zukunft in der öffentlichen Meinung sowohl als in der freiwilligen Unterordnung seiner Untergebenen verloren, weil er ein Hemmschuh in der inneren Entwicklung des Reiches und Preußens geworden ist. Das Alter hat ihn egoistisch und arbeitsscheu gemacht. Wo seine Interessen mitspielen, wie z. B. bei der Veränderung der Einkommensteuer, verhindert er den Weitergang der Dinge. Wo es einer eigenen Arbeitskraft, ja selbst nur des Hervortretenlassens einer großen fremden, ihn in den Schatten stellenden Arbeitskraft bedarf, um ein Gesetz zu schaffen, verhält er sich negativ; z. B. das Inslebenrufen des das Recht in Deutschland einigenden Zivilgesetzbuches kommt nicht von der Stelle. — Legt der Nachfolger Bismarcks den Zauberstab der Macht sofort an diese versäumten und ersehnten Dinge, so darf er sich der freudigen Zustimmung der Wohlgesinnten Deutschlands zu seiner Wahl versichert halten.



Quelle: Aus dem Briefwechsel des Generalfeldmarschalls Alfred Grafen von Waldersee, hrsg. von Heinrich Otto Meisner. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1928, Bd. 1, S. 336-38.

Abgedruckt in Hans Feske, Hg., Im Bismarckschen Reich 1871-1890. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S. 451-54.

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