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Das Gründungsprogramm der Nationalliberalen Partei (12. Juni 1867)

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Wir sind entschlossen, die Bundeskompetenz zu befestigen und über alle gemeinsamen Angelegenheiten auszudehnen. Als Ziel schwebt uns vor, daß die parlamentarischen Funktionen des Staates möglichst vollständig in den Reichstag verlegt werden. Auch der preußische Landtag soll sich nach und nach mit einer Stellung begnügen, welche in keiner Weise geeignet sei, dem Ansehen und der Wirksamkeit des Reichstages Eintrag zu tun. Dieses Ziel wollen wir auf dem verfassungsmäßigen Wege erstreben; bis es in dieser Weise erreicht ist, müssen die beiden parlamentarischen Körperschaften ihre Befugnisse wechselseitig achten und einen friedlichen Wetteifer in der Erfüllung des eigenen Berufes bekunden.

Nach dem Beispiele der preußischen Verfassung haben die entsprechenden Unvollkommenheiten in die Reichsverfassung Eingang gefunden. Auf beiden Gebieten sind nunmehr gleichzeitig und gleichmäßig die wesentlichen Reformen zu erstreben, welche die allein sichere Grundlage des öffentlichen Rechtes gewähren. Namentlich und vor allem ist das Budgetrecht zu vervollständigen, damit der Volksvertretung der volle Einfluß auf die Staatsgeschäfte zufalle. Nicht minder dringend sind Gesetze, welche eine wirksame Verantwortlichkeit für die Minister und alle Beamten herbeiführen, auf der juristischen Grundlage, daß jedermann für seine Handlungen einzustehen habe. Im Bunde ist überdies für eine vollständigere Repräsentation der verantwortlichen Träger der Regierungsgewalt zu sorgen und ihr Verhältnis zu den Regierungen der Einzelstaaten zu klären.

Durch die Ereignisse des vorigen Jahres und die begonnenen Umgestaltungen haben die Aufgaben des preußischen Staats, der Regierung wie des Volkes, sich vervielfältigt.

Der Anschluß der neuerworbenen Landesteile macht eine energisch reformierende Gesetzgebung, welche unter der Herrschaft der konservativen Partei verzögert worden ist und während des Verfassungskonflikts gänzlich geruht hat, dringend und unaufschiebbar. Der schleunigen Abhilfe warten in allen Teilen des Landes zahlreiche Mißstände, wie die Lähmung des Realkredites, die Beschränkung der Freizügigkeit, der Druck des Gewerbes und der Arbeit in den Fesseln der Gewerbeordnung. Die notwendige Verschmelzung der alten und neuen Landesteile verlangt umfassende Reformen in den organischen und anderen wichtigen Gesetzen. Auch schulden wir den neuen Provinzen, welche in Justiz und Verwaltung mancher Vorzüge sich erfreuen, den Schutz dieser Institutionen, die unmöglich durch mangelhafte altpreußische Einrichtungen ersetzt werden dürfen. Die Gleichmäßigkeit ist vielmehr zu bewirken, indem wir ihnen folgen, wo sie uns voran sind. Dem ganzen Deutschland schuldet Preußen das gute Beispiel in Gesetz und Verwaltung, soweit beide den Einzelstaaten vorbehalten sind, denn die Zukunft des gesamten Vaterlandes hängt von diesem Beispiele ab. Wir meinen deshalb, daß der Ausbau und die Revision der preußischen Verfassung nur um so eifriger zu erstreben ist. Nach wie vor verlangen wir die Ausführung der in der Verfassung verheißenen Gesetze und die Reform des Herrenhauses als Vorbedingung aller Reformen. Von diesen stehen weit voran:

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