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3. Kultur
Druckfassung

Überblick: Reichsgründung: Bismarcks Deutschland 1866-1890   |   1. Demographische und ökonomische Entwicklung   |   2. Gesellschaft   |   3. Kultur   |   4. Religion, Bildung, Sozialwesen   |   5. Politik I: Reichsgründung   |   6. Militär und internationale Beziehungen   |   7. Politik II: Parteien und politische Mobilisierung

Die allmähliche Herausbildung eines nationalen Kunstmarktes, der rasche Anstieg von Zeitschriften- und Zeitungsauflagen, die zunehmende Zahl illustrierter Bücher, Buchreihen und Leihbüchereien (D14, D15, D16, B32, B33), neue Anstrengungen, Museen und Konzertsäle der bürgerlichen Öffentlichkeit zugänglicher zu machen (D10, B17, B18) und die Veranstaltung nationaler oder internationaler Kunstausstellungen (B15, B16) übten schließlich eine homogenisierende Wirkung auf die deutsche Kultur aus. Es erwies sich trotzdem als unmöglich, erkennbar „nationale“ Normen dessen zu formulieren, geschweige denn anzuordnen, was gute deutsche Kunst ausmachte. Lange vor 1890 suchten deutsche Künstler neue Wege, der tieferen kulturellen Bedeutung der politischen Einigung (D1, D2, D5), des Industriekapitalismus (B20, B38) und der Entfremdung von bürgerlichen Konventionen (D6, B29, B30, B31) Ausdruck zu verleihen. Während sie in den Romanen des kaiserlichen Berlin besonders augenfällig waren, wurden diese Fragen in allen Kunstgattungen behandelt.

Daher wäre es unzutreffend zu sagen, dass entweder Selbstzufriedenheit oder Konformismus die Kreativität von Individuen prägte, die wie Adolph Menzel und Friedrich Nietzsche während ihres gesamten Werdegangs aus der Reihe tanzten, oder die, wie Max Liebermann und Gerhart Hauptmann, sich den „feierlichen“ Kern der offiziellen Hofkultur dadurch aneigneten, dass sie neue Themen und neue Stile feierten. Viele Künstler, deren Werke in diesem Kapitel vorkommen – Fritz von Uhde, Hans Marées, Wilhelm Leibl, Arnold Böcklin und andere – leisteten die Vorarbeit für die Sezessionsbewegungen, die in Dresden und München nach 1890 entstanden. Doch wie man sieht, wenn man die Reaktionen auf zwei deutsche Einigungen (1870/71 und 1989/90) vergleicht, fanden kulturelle Angstgefühle über die Dauerhaftigkeit grundlegender sozialer Werte Ausdruck in der Presse, Malerei und auf der Bühne, selbst als die siegreichen Truppen 1871 durch das Brandenburger Tor marschierten (der entsprechende Moment im Oktober 1989 mag der inzwischen berühmte Wangenkuss sein, der sich ereignete, als Michail Gorbatschow und Erich Honecker den 40. Jahrestag der Gründung der DDR feierten, während gleichzeitig die Legitimation des ostdeutschen Staates im Volk bröckelte).


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