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1. Von der Teilung zur Einheit
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Überblick   |   1. Von der Teilung zur Einheit   |   2. Die Vereinigungskrise   |   3. Normalität und Identität   |   4. Deutschland in der Welt   |   5. Der Abbau des Reformstaus   |   6. Politik im vereinten Deutschland   |   7. Übergänge: Von der Bonner zur Berliner Republik

Die anhaltende Ausreisewelle aus der DDR in Richtung Westen sowie die Erwartungen der DDR-Bürger, möglichst schnell in den Genuss politischer Freiheit und wirtschaftlichen Konsums zu kommen, erhöhten den politischen Druck. Die westdeutsche Regierung begegnete ihm mit einer ungewöhnlichen Zentralisierung der Entscheidungsbefugnisse im Bundeskanzleramt und im Innenministerium (11). Mit der politisch motivierten, aber wirtschaftlich schwer vertretbaren günstigen Umtauschquote von 1:1 für Löhne und Gehälter und 1:2 für höhere Sparguthaben fand am 1. Juli 1990 die Wirtschafts- und Sozialunion statt, der am 3. Oktober die Vereinigung der beiden deutschen Staaten folgte. Die Vertreter beider deutschen Staaten hatten sich im Vereinigungsvertrag darauf geeinigt, den Zusammenschluss gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes durchzuführen. Die damit eingeschlagene Richtung erlaubte die Inkorporierung der ehemaligen DDR in die bestehende Bundesrepublik, während Artikel 146 die Möglichkeit geboten hätte, eine Republik auf der Grundlage einer neuen Verfassung zu bilden. Damit einher ging die Übertragung westdeutscher Institutionen, Symbole und Gesetze auf die ehemalige DDR (12). Im Zuge der Verwaltungsumstrukturierung wurden die 1952 aufgelösten Länder der DDR wiederhergestellt. Zumindest der Intention nach waren Kontinuität und nicht Wandel angesagt. Für diese Tendenz waren viele Gründe verantwortlich: gefühlter wie realer Zeitdruck, unzureichende Planung für den Eventualfall einer Vereinigung, aber auch die Überzeugung, dass sich das westdeutsche politische und wirtschaftliche System bewährt hatte (13).



(11) Wolfgang Schäuble, Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Dirk Koch und Klaus Wirtgen (Stuttgart, 1991); Horst Teltschik, 329 Tage. Innenansichten der Einigung (Berlin, 1991); Claus J. Duisberg, Das deutsche Jahr. Einblicke in die Wiedervereinigung1989/90 (Berlin, 2005).
(12) Wade Jacoby, Imitation and Politics: Redesigning Modern Germany (Ithaca, NY, und London, 2000).
(13) Stellvertretend für eine Fülle an Literatur seien hier genannt: Gerhard Lehmbruch, „Die deutsche Vereinigung: Strukturen und Strategien“, Politische Vierteljahresschrift 32 (1991), S. 585-604; Roland Czada, „Schleichweg in die ‚Dritte Republik’. Politik der Vereinigung und politischer Wandel in Deutschland“, Politische Vierteljahresschrift 35, 2 (1994), S. 245-70.

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