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Anton von Werner, Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871) – Schloßfassung (1877)

Die sogenannte Schlossfassung (1877) der Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches von Anton von Werner (1843-1915) wurde vom Großherzog von Baden sowie anderen deutschen Fürsten in Auftrag gegeben und Kaiser Wilhelm I. als Überraschungsgeschenk zu dessen 80. Geburtstag am 22. März 1877 übergeben. Gemalt in einem fotografisch-realistischen Stil stellt es eine ziemlich genaue Dokumentation des historischen Ereignisses dar, das Werner vom Saalende aus beobachten musste (man beachte, dass er sich selbst unten rechts in das Bild einfügte). In der Tat war malerische Präzision für Werner eine Obsession: Zur Vorbereitung dieses Gemäldes fertigte er nicht weniger als 128 Figurenstudien an, von denen jede einzelne katalogisiert wurde, sodass die Betrachter bestimmte Figuren in der Masse der Soldaten und Würdenträger identifizieren konnten. In seiner Geradlinigkeit und fehlenden Dramatik entspricht das Bild Werners eigener Erinnerung von der Proklamierung als einer kurzen, langweiligen Angelegenheit, zu der er mitten im Winter kurzfristig einbestellt worden war. Möglicherweise lässt sich das geringste Anzeichen von Begeisterung in der Entscheidung erkennen, die jungen Offiziere genau in dem Moment darzustellen, als sie ihre Helme hochrissen, um den neu ausgerufenen Kaiser hochleben zu lassen. Im Übrigen ließ Werner die dicht gedrängten Armeeregimenter – die beim Defilieren durch den “Salon de la Paix” des Schlosses zu sehen sind –, die Figuren Otto von Bismarcks und Helmuth von Moltkes (des preußischen Generalstabschefs) in den Schatten zu stellen. Bemerkenswert ist außerdem, dass – im Einklang mit den gemäßigt liberalen Vorlieben des Kronprinzen und des Großherzogs von Baden, die bei der Auftragserteilung an Werner die Initiative ergriffen hatten – diese Fassung die „nationalen“ und „liberalen“ Aspekte des Ereignisses ausbalanciert und die vom Veranstaltungsort reichlich gebotenen Möglichkeiten für den Ausdruck eines deutschen Chauvinismus herunterspielt (selbst wenn das Publikum 1877 bemerkt hätte, dass die Siege Ludwigs XIV auf Wandmalereien an der Decke abgebildet sind). In dieser Version erscheint Wilhelm zum ersten und letzten Mal als Primus inter Pares mit den übrigen deutschen Fürsten, und Werner achtete peinlich darauf, die Details der verschiedenen Militäruniformen der deutschen Bundesstaaten festzuhalten. Diese Fassung des Gemäldes – mit 4,3 x 7,3 Metern größer als die spätere Friedrichsruher Fassung – hing im Berliner Stadtschloß und wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

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Anton von Werner, <i>Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)</i> – Schloßfassung (1877)

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