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Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg über die Folgen der Russischen Revolution (28. März 1917)

Die Russische Revolution vom März 1917 wirkte elektrisierend auf Deutschland. Sie beseitigte die russische Autokratie, das Schreckgespenst, das die deutschen Sozialisten 1914 zur Unterstützung des Krieges bewogen hatte. Zudem lieferte die russische Erfahrung ein Vorbild in der Praxis, auf welche Weise wirtschaftliche Fragen wie die Brotknappheit ausgenutzt werden konnten, um demokratische Reformen herbeizuführen – und möglicherweise ein Ende des Krieges. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg (1856-1921) war sich dieser Tatsache bewusst, wie seine Note an einen Beamten des Auswärtigen Amtes deutlich macht.

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Zur persönlichen Information und gelegentlichen geeigneten Verwertung.

Auf Presse ist bereits in dem von Seiner Majestät befohlenen Sinne eingewirkt worden. Ich wende der Sache um so größere Aufmerksamkeit zu, als russische Revolution gesamte Öffentlichkeit natürlich lebhaft beschäftigt. Daß die Sozialdemokratie ihrer Sympathie für die russischen Revolutionäre Ausdruck gibt, ist nicht zu verhindern, doch wird es, wie ich hoffe, glücken sie, soweit nicht der radikalste Flügel in Frage kommt, von einem Vergleich unserer Zustände mit den russischen abzuhalten. Die Ausbreitung antimonarchischer Tendenzen besorge ich einstweilen nicht ernsthaft. Die Stellung der Monarchie ist in den breiten Volksmassen stark. Eine direkte Gefahr würde aber entstehen, wenn man demokratische Forderungen, die eine unvermeidliche Folge dieses Krieges sind, schlechterdings als antimonarchisch brandmarken und wie es vor dem Kriege Sitte war, nur die Reaktionäre als verläßliche Stützen des Thrones anerkennen wollte. Davon werden sich auch die militärischen Kreise überzeugen lassen müssen. Eine reaktionär gesinnte Militärdiktatur würde uns dem Untergang entgegen führen. Der Verlauf der Dinge kann die Befriedigung demokratischer Forderungen schon während des Krieges notwendig machen, wobei es möglich ist, daß die lange Dauer des Krieges, die Größe der Opfer und schließlich auch die russischen Vorgänge solche Konzessionen jetzt als ungenügend erscheinen lassen, die im ersten Kriegsjahr noch als ausreichend gelten konnten. Ohne nervösen Stimmungen nachzugeben, muß man sich dessen bewußt sein, daß ein „zu spät" oder „zu wenig" verhängnisvoll werden kann.

v. Bethmann Hollweg.



Quelle: „Telegramm des Reichskanzlers an Legationsrat Freiherr v. Grünau betr. die Rückwirkungen der russischen Revolution auf die Politik der ‚Neuorientierung‘“, 28. 3. 1917, Nr. 100. – Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn, Gr. Hauptquartier, Bd. 245.

Abgedruckt in Wilhelm Deist, Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914-1918. 2 Bände, Düsseldorf: Droste, 1970, Band 2, S. 694.

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