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Die Rationierung in der Praxis: „Schlangestehen” für Lebensmittel (Oktober 1917)

Das Rationierungssystem war den Grundbedürfnissen der deutschen Bevölkerung bei weitem nicht angemessen. Die Folgen der Blockade und die resultierenden kritischen Versorgungsengpässe in elementaren Bereichen veränderten die Konsumgewohnheiten der Deutschen. Der Nährstoffgehalt der Lebensmittel sank, ganz zu schweigen von ihrer Schmackhaftigkeit. Dieses Dokument führt die alltäglichen Auswirkungen einer Kommandowirtschaft vor Augen.

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Ich erlaube mir, auf die mangelhafte, das Publikum sehr verstimmende Organisation beim Weißkohlverkauf im Kornhaus aufmerksam zu machen.

Ich war Augenzeuge und beschreibe, was ich selbst erlebt habe. Der Verkauf war angezeigt für 8 Uhr. Pünktlich war ich zur Stelle und schloß mich der nach hunderten zählenden Menschenmenge an, die vor dem Kornhause wohl 10 Menschen breit stand. Nach 1.5 stündigem Warten war ich bis zum Eingang vorgeschoben. (Es war ein Segen, daß es nicht in Strömen regnete wie in den letzten Tagen). Vom Eingange aus konnte ich nun feststellen, daß die ganze Menge sich an ein einziges Zahlschalter vorschieben musste. Diese Prozedur ging unter großem Gedränge und Schimpfen vor sich. Ich gab den Kampf auf und zog mich zurück. Der größte Teil des Publikums bestand aus Frauen die auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sind und die nun hier infolge einer mangelhaften Organisation mindestens 3 Stunden ihrer wertvollen Zeit verloren. Ich erlaube mir nun folgende Fragen:

1. warum muß der Weißkohlverkauf für die ganze Stadt nur an einer Stelle stattfinden?

2. warum ist in dem geräumigen Kornhaus nur eine einzige Zahlstelle und nur ein Verteilungshaufen von Weißkohl statt von beiden mehrere, worauf das Publikum sich verteilen würde.

3. Wie ist es möglich, daß nach den Erfahrungen von 3 Jahren sich Zustände wiederholen müssen, wie einst bei der Kartoffelverteilung?

Ich stelle meine Fragen im Interesse des Teiles des Publikums, dessen kostbare Arbeitstunden durch endloses aber vermeidbares Warten gekürzt werden und das mit Recht über eine solche Behandlung empört ist. Ich sehe davon ab, mich über unhöfliche, persönliche Bemerkungen des Inspektors zu beklagen, weil eine solche Klage erfolglos bleiben wird, nachdem derselbe Beamte sich im vorigen Jahre in Beleidigungen gegen Frau Stadtrat Glockner ergehen durfte, ohne gerügt zu werden.



Quelle: M. Nebel an Hans Thoma, Freiburg, 15. Oktober 1917. Stadtarchiv Freiburg, C3/779-6.

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