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Bernhard vom Brocke, „‚Wissenschaft und Militarismus’: Der Aufruf der 93 ‚an die Kulturwelt!’” (4. Oktober 1914)

Die überwiegende Mehrheit der führenden Schriftsteller, Komponisten und Gelehrten in Deutschland engagierte sich leidenschaftlich für die Unterstützung der Kriegsanstrengungen, die sie als Verteidigung der deutschen Kultur darstellten. Manifeste, die sich auf die deutsche Kulturüberlegenheit beriefen, um die nationale Sache, einschließlich der Verfolgung expansiver Kriegsziele, zu rechtfertigen, wurden von vielen der führenden deutschen Intellektuellen unterzeichnet. Dieser öffentliche Aufruf, verfasst von Ulrich von Wilamowitz (1848-1931) und von nahezu 100 der prominentesten deutschen Künstler und Intellektuellen unterzeichnet, wies trotzig die Vorwürfe deutscher Gräueltaten im besetzten Belgien zurück. Diese Persönlichkeiten gehörten zum prominenten Inventar in der Kampagne zur Mobilisierung der Moral an der Heimatfront.

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An die Kulturwelt!

Ein Aufruf.

Der nachstehende Aufruf geht uns zur Veröffentlichung zu:

Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten. Der eherne Mund der Ereignisse hat die Ausstreuung erdichteter deutscher Niederlagen widerlegt. Um so eifriger arbeitet man jetzt mit Entstellungen und Verdächtigungen. Gegen sie erheben wir laut unsere Stimme. Sie soll die Verkünder in der Wahrheit sein.

Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung, noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist das Aeußerste geschehen, ihn abzuwenden. Dafür liegen der Welt die urkundlichen Beweise vor. Oft genug hat Wilhelm II. in den 26 Jahren seiner Regierung sich als Schirmherr des Weltfriedens erwiesen; oft genug haben selbst unsere Gegner dies anerkannt. Ja, dieser nämliche Kaiser, den sie jetzt einen Attila zu nennen wagen, ist jahrzehntelang wegen seiner unerschütterlichen Friedensliebe von ihnen verspottet worden. Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Uebermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann.

Es ist nicht wahr, daß wir freventlich die Neutralität Belgiens verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England zu ihrer Verletzung entschlossen. Nachweislich war Belgien damit einverstanden. Selbstvernichtung wäre es gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen.

Es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Denn wieder und immer wieder, allen Mahnungen zum Trotz, hat die Bevölkerung sie aus dem Hinterhalt beschossen, Verwundete verstümmelt, Aerzte bei der Ausübung ihres Samariterwerkes ermordet. Man kann nicht niederträchtiger fälschen, als wenn man die Verbrechen dieser Meuchelmörder verschweigt, um die gerechte Strafe, die sie erlitten haben, den Deutschen zum Verbrechen zu machen.

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