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Die Flotte und die deutsch-englischen Beziehungen: Brief des Kontreadmirals Tirpitz an Admiral von Stosch (13. Februar 1896)

Chefarchitekt der massiven Flottenrüstung in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war Alfred von Tirpitz (1849-1930), Konteradmiral (und ab 1911 Großadmiral) der deutschen Flotte. Tirpitz vertrat den Standpunkt, dass „Seemacht“ der Schlüssel zum Großmachtstatus sei. Eine große Flotte als Zeichen der neu erwachten industriellen Leistungskraft Deutschlands sollte die britische Vormachtstellung herausfordern. Der Bau der deutschen Schlachtflotte provozierte harsche britische Reaktionen.

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Euer Exzellenz gütiges Schreiben vom 12. d. M. habe ich erhalten u. beeile mich, dasselbe zu beantworten. Ich bin erst vor kurzem hier nach Kiel zurückgekehrt, so daß ich erst jetzt Euer Exzellenz meinen wärmsten Dank für das höchst lehrreiche u. interessante Schreiben vom 25. 12. 95 auszusprechen komme. In Berlin haben sehr dringende und unerwartete Geschäfte meine dortige Zeit vollkommen ausgefüllt. Wie ich Euer Exzellenz ganz vertraulich und nur für Euer Exzellenz Person mitteilen möchte, habe ich Gelegenheit gehabt, an Allerh[öchster] Stelle Euer Exzellenz Ansichten als solche über die erforderliche Marine-Entwicklung zur Geltung zu bringen und ist Hoffnung vorhanden, daß der Faden da wieder aufgenommen werden wird, wo er im Jahre 1883 abgebrochen wurde. Vielleicht darf ich Euer Exzellenz später einmal Näheres darüber mitteilen. Meine Kommandierung nach Asien als Geschwaderchef ist, wie Euer Exzellenz schon wissen, ins Schwanken gekommen. Ich bin für meine Person sehr betrübt darüber. Es war mein brennender Wunsch herauszugehen; auch wäre es für mein Nervensystem gut gewesen, einmal auf Jahr und Tag aus aufreibender geistiger Tätigkeit herauszukommen und recht fern von Madrid zu weilen. Ich muß jetzt abwarten, wie das Geschick für mich sich entscheidet. Hinsichtlich der Transvaalfrage bin ich entgegen der öffentlichen Meinung und entgegen der Leitung unserer Politik der Ansicht, daß wir eine Dummheit begangen haben. England läßt die Brüskierung Amerikas, weil sie eine spätere Sorge in sich schließt u. vor allem weil Amerika ein unangenehmer Gegner ist, laufen und Deutschland zahlt die Zeche, weil es z. Zt. jeder ins Gewicht fallenden Seemacht entbehrt. Unsere Politik rechnet als reale Unterlage zur Zeit nur mit der Armee, diese wirkt direkt aber nur auf unsere Landesgrenzen, darüber hinaus nur mittelbar durch den von hier aus übertragenen Druck. Unsere Politik versteht nicht, daß der Allianzwert Deutschlands selbst für europäische Staaten vielfach nicht in unserer Armee, sondern in der Flotte liegt. Beispielsweise, wenn Rußland u. Frankreich in einer Frage gegen England stehen, das Hinzutreten unserer jetzigen Flotte ist dafür von zu geringer Bedeutung. Faßt England aber seine Politik nach Pittschem Muster auf, so wird es unsere Feindschaft lieber sehen als unsere strikte Neutralität. In ersterem Falle sind wir unter allen Umständen ein höchst wertvolles Objekt, im Falle der Neutralität würden wir außerordentlich als Konkurrent Englands gewinnen. Das weiß man in England auch ganz genau. Unserer Politik fehlt bis jetzt vollständig der Begriff der politischen Bedeutung der Seemacht. Wollen wir aber gar unternehmen, in die Welt herauszugehen und wirtschaftlich durch die See zu erstarken, so errichten wir ein gänzlich hohles Gebäude, wenn wir nicht gleichzeitig ein gewisses Maß von Seekriegsstärke uns verschaffen. Indem wir herausgehen, stoßen wir überall auf vorhandene oder in der Zukunft liegende Interessen. Damit sind Interessenkonflikte gegeben. Wie will nun die geschickteste Politik, nachdem das Prestige von 1870 verraucht ist, etwas erreichen ohne eine reale, der Vielseitigkeit der Interessen entsprechende Macht. Politisch vielseitig ist aber nur die Seemacht. Darum werden wir, ohne daß es zum Krieg zu kommen braucht, politisch immer den Kürzeren ziehen. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß England den Glauben wohl etwas verloren hat, daß wir unsere Armee zu seinen Gunsten gegen Rußland ins Feuer schicken. Umgekehrt kann England Rußland schon sehr erhebliche Konzessionen z. B. in Ostasien machen, wenn Deutschland die Zeche zahlt. Im letzteren Umstand liegt die Gefahr, wenn wir z. B. in einen Konflikt verwickelt werden, der Rußland, Frankreich u. England betrifft. Wenn wir auch sagen wollten, wir führen keinen Krieg wegen transatlantischer Interessen, so sagen dasselbe nicht die anderen 3 Staaten und so arbeiten wir fortgesetzt im politischen Nachteil. Es läßt sich über diese Fragen sehr viel mehr sagen. Ich wollte aber doch wenigstens angedeutet haben, daß ich meine Ansicht über die augenblickliche Transvaalfrage nicht ohne Überlegung gewonnen habe. Freilich habe ich dieselbe Ansicht gehabt, sobald ich nur die Depesche an den Präsid[enten] Krüger in der Zeitung las. Dieselbe war obendrein nicht geschickt redigiert, denn da England bei Konventionen dieses Staates mit dem Ausland das Billigungsrecht hat – was wir nicht bestreiten – so waren wir nicht in der Lage, dem Transvaal unsere Hilfe anzubieten.

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