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Zuchthausvorlage (1899)

Der Deutsche Reichstag beriet im Juni 1899 über den Gesetzesentwurf „Zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse“, auch bekannt als „Zuchthausvorlage“. Der Entwurf sah eine Zuchthausstrafe für Personen vor, die andere während eines Streiks am Arbeiten hinderten und hätte die Möglichkeiten der Arbeiter, sich zu organisieren, eingeschränkt. Die Vorlage löste heftige Proteste aus, an denen sich in Berlin und Hamburg rund 70.000 Menschen beteiligten. Die Reichsregierung hatte den Entwurf eingebracht. Die meisten Parteien standen ihm jedoch kritisch gegenüber und wiesen ihn schließlich zurück.

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Entwurf eines „Gesetzes zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses“, die sogenannte Zuchthausvorlage, vom 26. Mai 1899

§ 1 Wer es unternimmt, durch körperlichen Zwang, Drohung, Ehrverletzung oder Verrufserklärung Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zur Teilnahme an Vereinigungen oder Verabredungen, die eine Einwirkung auf Arbeits- oder Lohnverhältnisse bezwecken, zu bestimmen oder von der Teilnahme an solchen Vereinigungen oder Verabredungen abzuhalten, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft.
Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist auf Geldstrafe bis zu eintausend Mark zu erkennen.

§ 2 Die Strafvorschriften des § 1 finden auch auf denjenigen Anwendung, welcher es unternimmt, durch körperlichen Zwang, Drohung, Ehrverletzung oder Verrufserklärung
1. zur Herbeiführung oder Förderung einer Arbeiteraussperrung Arbeitgeber zur Entlassung von Arbeitnehmern zu bestimmen oder an der Annahme oder Heranziehung solcher zu hindern,
2. zur Herbeiführung oder Förderung eines Arbeiteraufstandes Arbeitnehmer zur Niederlegung der Arbeit zu bestimmen oder an der Annahme oder Aufsuchung von Arbeit zu hindern,
3. bei einer Arbeiteraussperrung oder einem Arbeiteraufstande die Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zur Nachgiebigkeit gegen die dabei vertretenen Forderungen zu bestimmen.

§ 3 Wer es sich zum Geschäft macht, Handlungen der in den §§ 1, 2 bezeichneten Art zu begehen, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.

§ 4 Dem körperlichen Zwange im Sinne der §§ 1 bis 3 wird die Beschädigung oder Vorenthaltung von Arbeitsgerät, Arbeitsmaterial. Arbeitserzeugnissen oder Kleidungsstücken gleichgeachtet.
Der Drohung im Sinne der §§ 1 bis 3 wird die planmäßige Überwachung von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Arbeitsstätten, Wegen, Straßen, Plätzen, Bahnhöfen, Wasserstraßen, Hafen- oder sonstigen Verkehrsanlagen gleichgeachtet.
Eine Verrufserklärung oder Drohung im Sinne der §§ 1 bis 3 liegt nicht vor, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, zu der er berechtigt ist, insbesondere wenn er befugterweise ein Arbeits- oder Dienstverhältnis ablehnt, beendigt oder kündigt, die Arbeit einstellt, eine Arbeitseinstellung oder Aussperrung fortsetzt, oder wenn er die Vornahme einer solchen Handlung in Aussieht stellt.

§ 5 Wird gegen Personen, die an einem Arbeiteraufstand oder einer Arbeiteraussperrung nicht oder nicht dauernd teilnehmen oder teilgenommen haben, aus Anlaß dieser Nichtbeteiligung eine Beleidigung mittelst Tätlichkeit, eine vorsätzliche Körperverletzung oder eine vorsätzliche Sachbeschädigung begangen, so bedarf es zur Verfolgung keines Antrags.

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