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Lovis Corinth, „Die Bilder aus der Mark und die Gründung der Berliner Sezession” (1903)

Der Maler Lovis Corinth (1858-1925) berichtet über die Gründung der Berliner Secession, in deren Rahmen sich innovative Künstler zusammen fanden, um den engen Schranken der akademischen Kunst und deren öffentlicher Unterstützung durch die Regierung zu entkommen. In dieser Besprechung von Walter Leistikows Werk beschäftigt sich Corinth mit der Rolle der Natur. Während akademische Künstler in erster Linie historische Themen bearbeiteten, bemühten sich die Künstler der Berliner Secession um einen unverstellten Blick auf die Natur, der nicht durch künstlerische Traditionen der Darstellung vorbelastet war.

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Wir sahen, daß Leistikow in seinen dekorativen Schilderungen hauptsächlich durch nordische Motive angeregt wurde. In der Mark Brandenburg berührte er dann gewissermaßen mit seinen Füßen wieder den wirklichen Boden, und so kam er nach einiger Zeit auf die naturalistische Auffassung der Natur zurück. Ihm gingen plötzlich die Augen auf über die herbe Schönheit der märkischen Wälder und Seen. Den melancholische[n] Reiz, der in den Kieferwaldungen liegt, wie sich die dunklen Wipfel knorrig gegen die wehenden Wolken absetzen und zu Füßen sich in schwarzen Dümpeln spiegeln, hat Leistikow verstanden wiederzugeben wie kein anderer. Er ist für die Welt zum Dolmetsch dieser spröden Natur geworden. Nicht als ob er überhaupt zuerst diese Motive gefunden hätte, aber seine Bilder zwangen zuerst vor allen andern Künstler und Laien zur Bewunderung. Man nannte ihn den Maler der Mark Brandenburg.

In der letzten Ausstellung der XI – dieser Verein bestand bis 1897 – hatte er zwei derartige Bilder ausgestellt, die ihm den ersten unumschränkten Erfolg einbrachten. [ . . . ] Von seiner dekorativen Epoche behielt er die breite Flächenwirkung bei, er verstand aber dabei auch die Tonwerte, die von Luft und Licht abhängig sind, zu kultivieren. Er ist durch diese selbständige Behandlung weit entfernt, der Manier, der prickelnden, mosaikartig aneinandergereihten Fleckenwirkung der französischen Impressionisten zu ähneln. Für die große Ausstellung am Lehrter Bahnhof 1898 hatte er wieder ein umfangreiches Werk dieser Art eingeschickt: Schwarze Föhren mit einem Weg am Rande des Wassers, fliegende, vom Abendrot gefärbte Wolken darüber. Er hatte viel Hoffnung auf dieses Bild gesetzt und – es wurde refüsiert. Dieser Mißerfolg wurde die Ursache zur Gründung der Sezession. Zunächst kaufte Rittergutsbesitzer Richard Israel das schöne Bild und schenkte es der Nationalgalerie, zu deren Perlen diese Schöpfung seither gezählt wird. Viele Jahre später wurde diesem Werke eine abfällige Kritik des Kaisers zuteil. Als nämlich Tschudi durch die Erwerbungen französischer impressionistischer Bilder für die Nationalgalerie den Allerhöchsten Unwillen Seiner Majestät zu hören bekam, glaubte er sich einigermaßen rehabilitieren zu können, wenn er den Kaiser vor dieses allgemein verständliche Bild Leistikows führen würde. Aber gerade das Gegenteil trat ein: Seine Majestät belehrte ihn sehr ungnädig, daß in diesem Bilde nicht die geringste Naturwahrheit wäre: »Er kenne den Grunewald und außerdem wäre Er Jäger.« Zu jener Zeit aber sah Leistikow klar ein, daß für ihn Vorteile und Erfolge in den Ausstellungen am Lehrter Bahnhof nie zu erringen waren. Deshalb setzte er alle Mittel, die ihm sein reicher Verstand bot, in Bewegung, um außer den Elfen des Vereins eine größere Gruppe jüngerer Künstler zur Trennung von der großen Korporation zu bewegen, um einen eignen Verein mit eigner alljährlicher Ausstellung zu bilden. Die modernsten Künstler Berlins folgten diesem Aufruf und im Jahre 1898 wurde die Berliner Sezession gegründet. Als Präsident wurde in Professor Max Liebermann der geeignetste Mann gewählt.

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