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Protestantische Theologie aus katholischer Sicht (1902)

Ein katholischer Theologe kritisiert an seinen protestantischen Zeitgenossen, dass sie keine Verbindung zu ihren Glaubensgenossen hätten und unterschiedliche theologische Lehren zuließen. Unter Katholiken galten Protestanten häufig als weltlich orientiert und dem Staat gegenüber unterwürfig.

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Der Berliner Evangel.-Kirchl. Anzeiger ist das Organ der preußischen Hof- und Unionstheologie, und daher ist es zu verstehen, wenn es ihm sehr schwer fällt, die Schäden des Protestantismus anzuerkennen. Um so beachtenswerter ist es, wenn er in einem langen Klageliede (Nr. 23 und 26, 1898) über die Partei, welche sich liberal nennt, schreibt:

Wer kennt sie nicht, diese jüngern oder ältern Herren, die sich verpflichtet halten, nicht das Bekenntnis der Kirche, sondern das Kollegien-Heft ihres Professors den Christen zur Erbauung vorzutragen? Die der Gemeinde, in der sie das Amt begehren, dadurch sich empfehlen, daß sie eine neue Theorie des Wunders vortragen oder sonst die Glaubens-Ueberzeugung der am ernstesten Gesinnten verletzen? Daß in der christlichen Gemeinde an den Stätten ihrer Andacht auch noch andere Bedürfnisse lebendig sind als das Verstandesbedürfnis, daß an der hohen Aufklärung des Predigers aus Glaubens- und Bekenntnisgründen ein Aergernis genommen wird, das sehen diese Herren als ein Unrecht an, das ihnen persönlich, oder das dem Fortschritt der Wissenschaft geschieht, und als eine Schuld des Kirchenregiments gilt es, daß es nicht jedem beliebigen Prediger gestattet sein soll, der Gemeinde das vorzutragen, was ihm in diesem augenblicklichen Studium seiner inneren Entwickelung oder was einer bestimmten theologischen Schule in diesem bestimmten Zeitpunkte gerade am meisten einleuchtet. Die Universitäts-Theologen haben ja nun ein so unmittelbares Verhältnis zur christlichen Gemeinde nicht, wie die Geistlichen im Amte; aber daß sie ganz ohne Verpflichtung gegen die Kirche sich fühlen könnten, ist sachlich unmöglich. Zwar sie haben Wissenschaft zu lehren, und den Glauben lernt man nicht auf Universitäten. Aber sie haben durch die Wissenschaft Diener der Kirche vorzubilden, und wenn es nur wenigen gegeben ist, die studierende Jugend in der Entwickelung des keimenden Glaubenslebens zu fördern, so ist es doch allen auferlegt, solche Entwickelung mindestens nicht ausdrücklich zu hindern. Daß alle gelehrten Theologen auch überzeugungstreue, gläubige Bekenner seien, wird wohl ein frommer Wunsch bleiben; aber daß alle theologischen Jugendlehrer den heiligen Dingen gegenüber eine ernste, sittlich gebundene, ehrfurchtsvolle Haltung bewahren, das ist ein durchaus berechtigtes Verlangen. Die Wissenschaft hat ihre zeitlichen Strömungen; da dringt bisweilen das geradezu Widerkirchliche, Widerchristliche, Naturalismus, Rationalismus, Skeptizismus allem Uebersinnlichen gegenüber bis in die herrschenden theologischen Ansichten hinein, und die studierende Jugend wird der Ehrfurcht vor dem Heiligen entwöhnt. Da wird doch jeder besonnen und gerecht Urteilende zugeben: es führt zu direktem Widersinn, wenn der akademische Lehrer der Theologie, selbst mit dem Bekenntnis der Kirche zerfallen oder gegen dasselbe gleichgültig, auf Grund der akademischen Lehrfreiheit in den Gemütern der studierenden Jugend, der künftigen Diener der Kirche, die Ehrfurcht vor den Grundlagen, auf denen die Kirche ruht, untergräbt, und die Kirche dies unthätig muß über sich ergehen lassen.

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