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Ernst Goldmann über die Rechtsstellung der Frau und das Züchtigungsrecht in der Ehe (1904)

Wie in jeder europäischen Nation des 19. Jahrhunderts gaben auch in der deutschen Gesellschaft die Männer den Ton an. Die untergeordnete Rolle der Frau war fest in ihrer gesetzlich geregelten Beziehung zum Ehemann verankert. Der Mann verfügte in der Ehe über die rechtliche Erlaubnis, den Freiraum seiner Gattin einzuschränken. Diese Befugnis schloss auch das körperliche Züchtigungsrecht mit ein.

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I. Hürden auf dem Wege zur Postvollmacht (1904)

Vor einiger Zeit wollte mir eine Ehefrau, deren Mann im Auslande weilt, eine Postvollmacht erteilen.

Als ich dieselbe dem zuständigen Postamt einreichte, teilte mir dieses mit, daß die Ober-Postdirektion verlangte, daß die fragliche, mir zu erteilende Vollmacht auch von dem Ehemann mitunterschrieben wäre.

Ich wandte mich darauf, um den Tatbestand festzustellen, an die Kaiserliche Ober-Postdirektion direkt um Auskunft unter Hinweis darauf, daß die Sache von prinzipieller Bedeutung sei und daß ich als Rechtskundiger nicht wisse, auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmung ein derartiges Verlangen gestellt werde.

Ich erhielt von der Kaiserl. Ober-Postdirektion unter dem 12. März 1904 die Antwort: „Daß bei den von Ehefrauen ausgestellten Vollmachten von den Postanstalten die Mitunterschrift der Ehemänner verlangt wird, beruht auf einer dienstlichen Vorschrift, die vom Reichs-Postamt erlassen worden ist.“ Sonstige Gründe hat mir die Kaiserl. Ober-Postdirektion nicht angegeben.

Ich halte diese Vorschrift für gesetzwidrig, indem ich darauf hinweise, daß die Post verpflichtet ist, sämtliche Sendungen, welche ihr unter der Adresse einer Ehefrau übergeben werden, der Adressatin auszuliefern, ohne etwa bei der Auslieferung die Quittung des Ehemanns verlangen zu dürfen, und tatsächlich handelt ja die Post auch so.

Wenn ein Adressat berechtigt ist, die Auslieferung einer Sendung an sich zu verlangen, so muß er doch auch folgerichtig berechtigt sein, einen Dritten zu bestellen, der für ihn die Sendungen entgegennehmen darf.

Ich meine, daß diese einfache Überlegung allein schon ausreicht, um die Unhaltbarkeit des Standpunktes des Reichs-Postamts klarzulegen.

Dazu kommt aber, daß an sich zweifellos eine Ehefrau berechtigt ist, Vollmachten zu erteilen, ohne Genehmigung ihres Mannes. Diese Vollmacht würde nur dann nicht für den Bevollmächtigten ausreichen, wenn es sich um Rechtsgeschäfte handelt, die das eingebrachte Vermögen der Frau angehen, wo also das gesetzlich zu präsumierende Verwaltungs- und Nießbrauchsrecht des Mannes in Frage steht. Die Verfügung des Reichs-Postamts klingt so, als ob sie aus einer Zeit stamme, bei der man annahm, daß die Frau keine rechtsfähige Person sei, sondern unter der Vormundschaft des Ehemanns stehe.



Quelle: Ernst Goldmann, „Zuschrift eines ‘bekannten, für die Frauensache sehr interessierten Berliner Rechtsanwalts“, in Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit 11 (1904), S. 500.

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