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Erklärung der liberalen Sezessionisten (30. August 1880)

Bismarcks Versuch einer Beschneidung konstitutioneller Freiheiten und seine Kehrtwende von der Freihandels- zur Schutzzollpolitik setzte die Nationalliberale Partei zunehmend unter Druck, liberale Prinzipien zu verteidigen. Doch die folgende Erklärung liberaler „Sezessionisten“ zeigt, dass nach deren Auffassung die Nationalliberale Partei unfähig gewesen war, in diesen Bereichen standfest zu bleiben. Die 28 Reichstags- und preußischen Landtagsabgeordneten, die diese Erklärung unterzeichneten, spalteten sich von der Partei ab und bildeten die Liberale Vereinigung (auch als „Sezessionisten“ bekannt); diese errang in der Reichstagswahl 1881 46 Sitze und etwa 8 % der abgegebenen Stimmen. Im März 1884 schloss sie sich mit der Deutschen Fortschrittspartei zur Deutschen Freisinnigen Partei zusammen.

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Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre haben in steigendem Maße uns die Überzeugung aufgedrängt, daß die Nationalliberale Partei gegenüber den wesentlich veränderten Verhältnissen nicht mehr von der Einheit politischer Denkart getragen wird, auf der allein ihre Berechtigung und ihr Einfluß beruhten.

In dieser Überzeugung erklären die Unterzeichneten hiermit ihren Austritt aus der Nationalliberalen Partei.

Eine in sicheren Bahnen ruhig fortschreitende Entwicklung unserer in Kaiser und Reichsverfassung ruhenden Einheit wird nur aus der Wirksamkeit eines wahrhaft konstitutionellen Systems hervorgehen, wie es die deutsche liberale Partei seit ihrer Existenz unverrückt erstrebt hat. Das einige Zusammengehen der liberalen Partei in den wesentlichen Fragen, das Aufhören verwirrender und aufreibender Kämpfe verschiedener liberaler Fraktionen erscheint uns aber als die unerläßliche Voraussetzung für das erstrebte Ziel.

Fester Widerstand gegen die rückschrittliche Bewegung, Festhalten unserer nicht leicht errungenen politischen Freiheiten ist die gemeinschaftliche Aufgabe der gesamten liberalen Partei.

Mit der politischen Freiheit ist die wirtschaftliche eng verbunden, nur auf der gesicherten Grundlage wirtschaftlicher Freiheit ist die materielle Wohlfahrt der Nation dauernd verbürgt.

Nur unter Wahrung der konstitutionellen Rechte, unter Abweisung aller unnötigen Belastungen des Volks und solcher indirekten Abgaben und Zölle, welche die Steuerlast vorwiegend zum Nachteil der ärmeren Klassen verschieben, darf die Reform der Reichssteuern erfolgen.

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