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Ernst Henrici spricht zu Berliner Antisemiten in der Reichshallenversammlung: Bericht in der Tribüne (Dezember 1880)

In den 1880er Jahre erstarkten die zunehmend rassenideologischen Varianten des Antisemitismus. Diese Radikalisierung fand beim Christlich-Sozialen Hofprediger Adolf Stöcker, der stark in die Angelegenheiten der Konservativen Partei eingebunden war, keine Unterstützung, wurde aber von Stöckers Konkurrenten innerhalb der Bewegung vorangetrieben. Einer dieser Antisemiten war der Gymnasiallehrer und Gründer der abgespaltenen Sozialen Reichspartei, Ernst Henrici (1854-1915). Diese aufwieglerische Rede Henricis an Berliner Antisemiten erlangte sofort traurige Berühmtheit wegen ihrer hasserfüllten Sprache, ihrer Aufforderung zu tätlichen Angriffen gegen anwesende Juden und der Tumulte, die in der Versammlung ausbrachen. Während die meisten Berichte von politischen Versammlungen im Bismarckreich auf eher ruhige (und sogar verschlafene) Veranstaltungen schließen lassen, stellt diese Schilderung eine Ausnahme dar: Statt eine kurze Zusammenfassung voraussehbarer Reden zu liefern, demonstriert sie, wie man (absichtlich oder unabsichtlich) eine öffentliche Versammlung aus dem Ruder laufen ließ. Die Zwischenrufe aus dem Publikum sind ebenso aufschlussreich wie die antijüdischen Äußerungen vom Rednerpult.

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Eine turbulente Versammlung, die alle social-demokratischen und christlich-socialen weit in den Schatten stellt, fand am Freitag Abend im oberen Saale der „Reichshallen“ (am Döhnhofsplatz) statt: „Versammlung der antisemitisch-liberalen Partei“, unter dieser Bezeichnung wurde im redactionellen Theile einiger Zeitungen auf die Versammlung aufmerksam gemacht. „Versammlung aller wahrhaft freisinnigen Bürger christlicher Religion.“ Gegenstand: „Referat über Mittel zur Wahrung der christlich-deutschen Interessen“, so wurde im Inseratentheil der Zeitungen eingeladen. An den öffentlichen Anschlagsäulen dagegen war auf großen Placaten zu lesen: „Volksversammlung u. Besprechung einer hochwichtigen Angelegenheit. Das Comité. Im Auftrage: H. Weber.“ Diesen verschiedenen Einladungen dürfte es wohl zuzuschreiben sein, daß eine große Anzahl Israeliten, Socialdemokraten etc. zugegen waren. Der große Saal war gleich nach acht Uhr in allen seinen Theilen überfüllt. Es mochten wohl mehr als 3000 Personen versammelt gewesen sein. Nachdem ein Polizei-Officier nebst Schutzmann neben dem Vorstandstisch Platz genommen hatte, betrat Gymnasiallehrer Dr. Henrici die Rednertribüne und erklärte, daß er namens des Comités die Versammlung eröffne. (Rufe: Wer ist das Comité? Juden Maul halten!) Henrici: Ich ersuche Sie, sich einen Vorsitzenden zu wählen. (Rufe: Erst das Comité nennen! Lärm.) Henrici: Ist Herr Ruppel anwesend? Ruppel: Ja wohl! Ich frage Herrn Ruppel, ob er unter Umständen den Vorsitz übernehmen will? - Ruppel: Unter Umständen werde ich den Vorsitz übernehmen. (Große Heiterkeit.) - Ruppel: Ich erkläre mich zur Übernahme des Vorsitzes bereit, wenn mir die Zusicherung wird, daß diese Versammlung lediglich von christlichen Männern deutscher Abstammung [ . . . ] (Stürmischer Beifall und lang anhaltendes Getrommel. Rufe: Juden raus, raus! Zur Geschäftsordnung!) - Ruppel (fortfahrend): Ich erkläre mich nur zur Übernahme des Vorsitzes bereit, wenn mir versichert wird, daß nur christliche Männer deutscher Abstammung in der Versammlung anwesend sind. (Stürmischer Beifall und Lärm. Rufe: Hier sind Juden, Mauschels, Juden raus, raus!) Im Hintergrunde des Saales werden eine Anzahl Juden gewaltsam unter Schlägen und Püffen hinausgeworfen. Endlich wurde Buchdruckereibesitzer Ruppel zum Vorsitzenden gewählt. Ruppel: Ich danke Ihnen für die Wahl und bemerke, daß nur alle christlichen Männer deutscher Abstammung eingeladen worden sind. (Stürmischer Beifall und Lärm.) Wer diese Bedingungen nicht erfüllt, den fordere ich auf, den Saal zu verlassen (Stürmischer Beifall und anhaltender, förmlich betäubender Tumult. Rufe: Juden raus! Zur Geschäftsordnung! Das ist eine Voksversammlung!) In verschiedenen Ecken des Saales entstehen Schlägereien. - Endlich erhält ein Herr Schultz das Wort zur Geschäftsordnung. Dieser bemerkte: Er finde das Verhalten des Vorsitzenden durchaus ungerechtfertigt, es sei dies laut öffentlichen Anschlagsäulen eine Volksversammlung und zu einer solchen habe Jedermann Zutritt, (Stürmischer Beifall und heftiger Lärm.) - Dr. Henrici: Laut Verfassung

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