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Lebensstil und Ausgaben einer Beamtenfamilie in Berlin (1889)

In der Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs genossen höhere Beamte beträchtliches (und wahrscheinlich zunehmendes) Ansehen. Doch häufig hielten deren Einkommen nicht Schritt mit den Erfordernissen einer dem sozialen Status angemessenen Lebensführung. Dieser Bericht betont die bürgerlichen Tugenden Sparsamkeit und Fleiß, die beide als unerlässlich für die Sicherung des Wohlstandes und Prestiges einer Berliner Beamtenfamilie angesehen werden.

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Der zweite Haushalt ist der eines Staatsdieners – ich möchte hinzufügen: vom alten Schlag. Wer Vertreter dieses Kreises kennt, wird wissen, welche vorzüglichen Eigenschaften hier zu Hause sind: unermüdliche Arbeitskraft, eisernes Pflichtgefühl, Hingabe an den Staatsgedanken auch dann, wenn nicht volle Übereinstimmung mit den zu einer Zeit herrschenden politischen Ansichten der leitenden Mächte vorhanden ist. Bilden sich auch neben dem Guten Eigentümlichkeiten aus, die nicht angenehm berühren, eine gewisse Steifheit des äußern Benehmens, zuweilen sogar büreaukratischer Dünkel, so ist das doch durchaus nicht die Regel und mindert den Wert der unleugbaren Vorzüge nur selten. [ . . . ]

Weniger in das Auge fällt die hauswirtschaftliche Tüchtigkeit, die auch heute noch den weitaus größern Teil der Beamtenschaft auszeichnet. Sind auch die Gehälter höhere geworden, so hat diese Steigerung doch nicht Schritt gehalten mit der durchschnittlichen Erhöhung der Lebenshaltung in andern Ständen, die größere Bedürfnisse mit größern Einnahmen in Einklang bringen konnten. Der Staatsdiener mit Hochschulbildung gehört den höhern Ständen der Mittelklasse an und ist äußerlich zu anständigem Auftreten genötigt. Er muß deshalb heute nicht geringe sittliche Kraft besitzen, um allen Anforderungen zu genügen, und er und seine Frau benötigen große wirtschaftliche Begabung, wenn die Verhältnisse nicht in heillose Verwirrung geraten sollen.

Der Vorsteher des Hauses, dessen Wirtschaftsleben ich im folgenden schildern will, besitzt mit seiner tüchtigen Gattin alle Eigenschaften, die einen geregelten Haushalt verbürgen. Das Leben ist ein durchaus häusliches; Luxus kennt man nicht. Die Wohnung liegt ziemlich weit vom Amt entfernt, denn nur in den äußern Teilen der Vorstädte sind etwas größere Wohnungen noch zu erschwingen; eine bequeme Pferdebahnverbindung erleichtert den Verkehr. Die Wohnung liegt im dritten Stockwerk und besteht aus zwei Schlafzimmern, einer Eß- und zugleich Wohnstube, einer „guten Stube“ und einem kleinen Zimmer für den Hausherrn, in welchem Raum auch dessen Frau sich in Abwesenheit des Mannes aufhält. Die vor zwanzig Jahren angeschaffte Einrichtung ist gediegen und einfach: tadellose Reinlichkeit bildet den besten Schmuck; die Frau besitzt die Kunst des Erhaltens. Eine große Tugend. Die Familie besteht neben den Eltern aus zwei Knaben von zwölf und dreizehn Jahren und einer neunzehnjährigen Tochter. Diese hat die Lehrerinprüfung abgelegt und ist nebenbei zur Blumenmalerin ausgebildet worden. Das Mädchen, obwohl keine Künstlerin im strengsten Sinne des Wortes, hat Begabung und Geschmack. Sie bemalt Fächer, Körbe, Glas- und Porzellangefäße mit anmutigen Ranken und verdient sich zwischen 300–400 Mark bei ungefähr vierstündiger Arbeit täglich. Das ist auch der Grund, weshalb in die unten folgende Ausgaben-Übersicht für sie kein Betrag aufgenommen ist. Das Mädchen bestreitet damit Kleidung und Beschuhung, hat im Jahre 1889 90 Mark auf die Sparkasse gebracht, bezahlt Farben usw. Außerdem aber bereitet es ihm inniges Vergnügen, Eltern und Geschwister mit kleinen Geschenken zu erfreuen, und einigemal im Jahre den Feundinnen einen „Damenkaffee“ mit Kuchen und Baisertorte zu geben.

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