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„Der Arbeiter sehnt sich nach Erholung" (1928)


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Der Arbeiter sehnt sich nach Erholung!

Das Wort „Wochenende“ erweckt doch gewiß in jedem Arbeiter, in jeder Arbeiterin ein freudiges Gefühl. Sechs Tage für den Unternehmer geschafft, nun soll der Sonnabend nachmittag und Sonntag dem Arbeiter gehören! Wenn sich dieser auch keine Wochenend-Fahrten leisten kann, wie sie bei den „oberen Zehntausend“ üblich sind, so läßt er sich dadurch seine Stimmung nicht verderben. Der Arbeiter sehnt sich nach Erholung! Sie wird ihm auch zuteil, wenn er seine Freizeit, in diesem Falle sein Wochenende, richtig ausnutzt. Aber leider nur zu oft wird durch Maßnahmen, wie sie der Unternehmer trifft, die Stimmung der Arbeiter um ein beträchtliches herabgedrückt. Das kann ich auch von mir behaupten. Bin in dem Betriebe der Firma ... beschäftigt. Ich muß Sonnabends bis 8 Uhr abends arbeiten. So geht es noch vielen Kolleginnen, die Schichtarbeit leisten. Es kommt natürlich nur alle 14 Tage einmal vor. Aber immerhin, jeder zweite Sonnabend geht verloren.

Ich bin noch im elterlichen Haushalt. Ich habe also noch genügend Zeit, Organisationsarbeit zu leisten, was ich auch gern und mit Freuden tue. Partei und Gewerkschaft sind doch auch nach meiner Ueberzeugung die Hauptpfeiler der Arbeiterbewegung.

Früh um 5 Uhr, wenn der Wecker ans Aufstehen ermahnt, heißt es ohne Zögern „heraus aus den Federn“, denn um 6 Uhr muß ich an der Maschine stehen. Ich habe ungefähr 20 Minuten Weg zur Arbeitsstelle zurückzulegen. Manchmal gesellen sich auch Kolleginnen dazu; oft gehe ich allein. Dabei kommen mir allerhand Gedanken und Wünsche, die wohl im Augenblick unerfüllbar sind, aber vielleicht doch einmal durch die Mitarbeit aller Abseitsstehenden in Erfüllung gehen können. Die Zeit rückt näher und bald ertönt das Signal zum Beginn der Arbeit. Ich bin also wieder in die Gegenwart versetzt, denn beim Lärm der Maschinen und der Arbeit, die ich verrichten muß, ist es nicht so leicht, Zukunftspläne zu schmieden. Bald ist eine halbe Stunde Frühstückspause. Doch die Maschine hat keine Pause. In meiner Abteilung (Vorspinnerei) ist es auch seit einiger Zeit üblich, daß verschieden pausiert wird und daß währenddem die Maschine von der Nachbarin mit bedient werden muß. So tritt die gesetzlich vorgeschriebene Pause nicht als Lohnverlust in Erscheinung. Ich nehme meist während des Frühstücks ein Buch oder eine Zeitung zur Hand. Manchmal gehe ich zu Kolleginnen und dann kommt es vor, daß untereinander gefragt wird: „Wo warst du gestern Abend?“ „In der Funktionärversammlung, in der Parteiversammlung, im Jugendheim zur Sitzung?“ Die eine war spazieren, jede erzählt dann das Gehörte und Erlebte. Bis zum Arbeitsschluß um 2 Uhr ist eine lange Zeit. Doch auch die vergeht und ich freue mich dann, wenn ich den Fabriksaal verlassen kann.

Zu Hause angekommen, wird sogleich das Mittagessen verzehrt. Dann gehe ich meiner Mutter die Gänge. Manchmal setze ich mich an die Nähmaschine und bessere Wäsche aus. Wenn dann die Zeitung erscheint, so lese ich sie. Ist eine Versammlung für denselben Abend einberufen, so will ich auch diese nicht versäumen; denn in der Woche, wenn ich wieder bis 10 Uhr abends arbeite, kann ich zu keiner Sitzung oder Versammlung gehen.

Ich habe nun den Verlauf eines Arbeitstages geschildert. Bin ja vielleicht etwas über den Rahmen hinausgegangen. Es ist aber hiermit nicht gesagt, daß ein Arbeitstag dem andern gleicht. Die Arbeit in der Fabrik bleibt wohl dieselbe, aber nicht die Hausarbeit.

Und nun zu dem ersehnten Wochenende. Von einem wirklich freien Sonnabendnachmittag kann ich ja nicht schreiben, denn ich erwähnte ja schon zu Anfang, daß ich jede zweite Woche bis 8 Uhr abends arbeite. Habe ich dagegen den Sonnabend nachmittag für mich, so gehe ich in die Wohnungen der Kollegen und Kolleginnen und ziehe die Verbandsbeiträge ein. Wenn ich es versäume, so hole ich es Sonntag vormittag nach. So bleibt also für mich der Sonntagnachmittag. Ein gutes Buch bietet mir dann das, wonach ich mich manchmal sehne. Lockt das Wetter besonders, so mache ich mit meinen Eltern oder mit Kolleginnen einen Ausflug, der dann meist zu einem Erlebnis wird. Dies ist mein Wochenende. Hoffen wir also und kämpfen wir mit vereinten Kräften für ein besseres Dasein der Arbeiterklasse. Dieser Wunsch soll auch unser Glaube sein.

M. K., N., 24 Jahre.





Quelle: "Mein Arbeitstag - mein Wochenende" Arbeiterinnen berichten von ihrem Alltag 1928. Neu herausgegeben von Alf Luedtke. Hamburg: Ergebnisse Verlag GmbH, 1991, S. 44-46.

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