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Hjalmar Schacht, „Die Koloniale Frage” (1931)

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DIE KOLONIALE FRAGE

Eine deutsche Jugendorganisation, die sich mit der Ausbildung junger Leute für den Beruf befaßt, hat kürzlich eine Rundfrage erlassen, die jeden Leser erschüttern mußte. Sie klagte darüber, daß es ihr nicht mehr möglich sei, die von ihr betreuten jungen Leute in eine berufliche Tätigkeit zu bringen, weil alle Berufszweige überfüllt seien und nirgends Raum für eine Tätigkeit dieser arbeitswilligen, fleißigen und moralisch wohlqualifizierten Jugend vorhanden sei. So rief diese Organisation aus: „Wo ist Lebensraum für die deutsche Jugend zu finden, wo sind in den nächsten Jahren zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen für Hunderttausende tüchtiger und strebsamer junger deutscher Menschen, die das gleiche Ideal des Pflichtgefühls und der Arbeitstreue in sich verkörpern wie die vergangenen Generationen?“ Gebt Lebensraum dieser deutschen Jugend, wenn ihr Friede und Wohlfahrt der Welt bewahren wollt. Das ist die große Forderung, an der die Welt nicht vorbeigehen kann, ohne selber Schaden zu nehmen. Dabei wird dieses Problem möglicherweise gar nicht auf die deutsche Jugend beschränkt sein. Ähnlich liegen die Dinge heute schon in Italien, ähnlich mögen sich die Dinge für andere Länder gestalten.

Wenn es keine menschenleeren, unerschlossenen Gebiete in der Welt mehr gäbe, so würde das Problem sehr viel anders aussehen und andere Konsequenzen haben. Heute aber und noch auf lange Zeit gibt es keine einfachere Lösung für die überfüllten alten staatlichen Räume als die Erschließung neuer Gebiete. In der Frage einer solchen Kolonialpolitik werden wir uns wie in vielen anderen Dingen von den hergebrachten Tendenzen frei machen müssen. Koloniale Herrschaft ist bisher entstanden aus heldischen Eroberergedanken heraus. Heute ist es bittere wirtschaftliche Not, die uns zu kolonialer Politik treibt.

Die nachstehende Übersicht zeigt für die europäischen Länder sowie für die Vereinigten Staaten, wieviel Lebensraum jedem Einwohner zu Gebote steht, wenn man das koloniale Gebiet und seine Bevölkerung dem Mutterlande zurechnet:

   
Gebiet in Millionen Quadratkilometern:
Bevölkerung in Millionen:
Einwohnerzahl auf den Quadratkilometer:
Europa:
  Deutschland
0,47
63,18
134
  Österreich
0,08
6,53
82
  Belgien 
2,47
21,38
8,7
  Großbritannien 
39,67
461,05
12
  Frankreich 
11,46
99,86
8,7
  Griechenland 
0,13
6,18
48
  Italien 
2,57
42,61
16
  Jugoslawien 
0,25
11,98
48
  Niederlande
2,08
59,71
29
  Norwegen 
0,39
2,80
7,2
  Polen 
0,39
27,18
70
  Portugal 
2,52
15,48
6,1
  Rußland 
21,34
143,13
6,7
  Schweden 
0,45
5,90
13
  Schweiz 
0,04
3,88
97
  Spanien 
0,85
23,29
27
  Tschechoslowakei 
0,14
13,61
97
Amerika:
  Vereinigte Staaten (ohne Kolonien) 
7,84
120
15

Auch wenn man sich durchaus bewußt ist, daß die verschiedene Beschaffenheit des Grund und Bodens keine gleichmäßige Bewertung des bloßen Raumes zuläßt, so ergibt die Übersicht doch ganz klar, daß von allen Kulturvölkern das deutsche über den geringsten Lebensraum verfügt, obgleich es zu den größten und in zivilisatorischer Hinsicht zu den höchstentwickelten Völkern gehört. Hätten die Siegermächte Deutschland seinen alten kolonialen Besitz gelassen, den keiner von ihnen irgendwie nötig hatte, so würden die ganz außerordentlichen sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen das eingeengte Deutschland heute gegenübersteht, sich wesentlich vermindern und ihren bedrohlichen Charakter für den Frieden und die Wohlfahrt der Welt verlieren.

Um den Raub der deutschen Kolonien zu bemänteln, erfanden die Väter des Versailler Vertrages die sogenannte „koloniale Schuldlüge“. Mit schamloser Heuchelei wurde Deutschland vorgeworfen, daß es zur Kolonisation moralisch unfähig sei und daß es seine Kolonien zu militärischen Stützpunkten für seine angeblich imperialistische Politik mißbraucht habe. Das unterschrieben Mächte, die sich vor noch gar nicht langer Zeit seitens der ganzen zivilisierten Welt den Vorwurf der Kongogreuel zuzogen, die in diesem selben Weltkrieg Hunderttausende farbiger Soldaten aus ihren afrikanischen und asiatischen Kolonien gegen die Deutschen geführt haben und noch heute farbiges Soldatenmaterial aus Afrika rekrutieren. Man könnte viele Seiten damit füllen, gegen diese dreiste Lüge englische, amerikanische und selbst französische Urteile anzuführen, die der deutschen Kolonialpolitik ein geradezu glänzendes Zeugnis ausstellen.

[ . . . ]



Quelle: Hjalmar Schacht, Das Ende der Reparationen. Oldenburg: Gerhard Stalling, 1931, S. 229-32.

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