GHDI logo


Hjalmar Schacht über Reparationsforderungen (1931)


Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 1


ORDNUNG ODER CHAOS

Der Vertrag von Versailles und mit ihm die Reparationsforderungen haben die Welt moralisch und wirtschaftlich in ein Chaos gestürzt. Es gibt zwei Wege, die aus diesem Chaos wieder herausführen und die beide gegangen werden müssen. Der eine ist der Weg einer moralischen Wiedergeburt. Er verlangt, daß die unmoralischen Grundlagen des Versailler Vertrages revidiert werden, daß der von allen Wissenschaftlern längst widerlegte Vorwurf, Deutschland allein sei für den Krieg verantwortlich, auch offiziell fallen gelassen wird, daß der Treubruch wieder gutgemacht und die 14 Punkte Wilsons, so wie es feierlich versprochen war, zur Grundlage eines wirklichen Friedens gemacht werden. Der Kampf um diese moralische Wiedergeburt steckt erst in den Anfängen und wird durch keinerlei Gewaltpropaganda zum Stillschweigen gebracht werden.

Der zweite Weg aus dem Chaos führt über die wirtschaftliche Vernunft. Mit diesem Wege hat sich das vorliegende Buch beschäftigt. So sinnlos es ist, Bananen am Nordpol ernten zu wollen, so sinnlos ist es, Zahlungen aus einem Volk erpressen zu wollen, das diese Zahlungen weder wirtschaftlich noch sozial aufbringen kann. Ein solches Unterfangen ist brutal und dumm, und deshalb unausführbar. Demnach gibt es nur eine einzige Folgerung, entweder man muß auf Reparationen verzichten, oder man muß es dem deutschen Volk ermöglichen, die Reparationssummen durch seine Wirtschaft zu verdienen. Die Wege, die hierzu führen, haben wir bereits angedeutet, Erweiterung des Wirtschaftsraumes in Europa, Ermöglichung selbst erarbeiteten Rohstoffbezuges durch Rückgabe der deutschen kolonialen Gebiete, und endlich Schaffung neuer Absatzmöglichkeiten für Deutschlands industrielle Erzeugung.

Da die übrigen Industrieländer gewiß nicht gern ihre Märkte an Deutschland abtreten werden, so mag in diesem letzten Punkt nach Behelfen gesucht werden. Das Problem lautet: Finden sich neue Exportmärkte für die Erzeugnisse der Industrieländer (also nicht nur Deutschlands), so daß die Produktionskapazität dieser Länder nach Arbeitskraft und Umfang ihrer industriellen Anlagen bessere Ausnutzung als bisher finden können? Die bisherige Politik erschöpft sich darin, in Zeiten der Not den Produzenten bzw. seine Arbeiter zu unterstützen. Das ist in reichen Ländern relativ einfach durchzuführen, weil es sich um eine Aufgabe handelt, die — unter normalen Verhältnissen — durch heimische, d. h. nationale Maßnahmen gelöst werden kann. Für das verarmte Deutschland ist eine solche Lösung nicht möglich. Die Lösung liegt daher nicht darin, den Produzenten oder seine Arbeiter finanziell zu unterstützen, sondern den Abnehmer. Der Abnehmer muß durch Kreditgewährung in den Stand gesetzt werden, zu kaufen. Solche Kreditgewährung kann sich selbstverständlich nicht erstrecken auf die unmittelbaren Verbrauchsgüter (Nahrungsmittel, Kleidung etc.). Die Notwendigkeit der Rückzahlung des Kredits würde einer solchen inflationistischen Konsumausdehnung sehr rasch ein Ende setzen. Dagegen besteht in zahlreichen weniger entwickelten Ländern ein heute noch nicht gedeckter Bedarf nach solchen Waren, die in der weiteren Produktion Verwendung finden können, also nach Produktions- und Verkehrsmitteln aller Art. Schienen, Röhren, Lokomotiven, Elektrizitätswerke, Kraftstationen, Hafenanlagen sind alles Dinge, die in den noch rückständigen Ländern Osteuropas, Südamerikas, Asiens und Afrikas gebraucht werden und die von den Industrieländern ungefährdet auf Kreditbasis geliefert werden können, weil die Verwendung solcher Produktionsmittel und Anlagen in jenen unentwickelten Ländern eine höhere Produktivität und damit höhere Erträgnisse bringt, aus denen im Laufe der Jahre der gewährte langfristige Kredit zurückgezahlt werden kann. Eine solche Politik ist keine Subventionspolitik, wie sie vielfach bisher dem Produzenten gegenüber getrieben wird, sondern eine organische Kreditpolitik, die sich selber wieder liquidiert. Eine solche Politik kann aber nicht national von einem Lande getrieben werden, sondern muß international sein, d. h. sie erfordert internationale Gemeinschaftsarbeit.

[ . . . ]



Quelle: Hjalmar Schacht, Das Ende der Reparationen. Oldenburg: Gerhard Stalling,1931, S. 238-40.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite