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Carl von Clausewitz: Auszüge aus Vom Kriege (1832)

Der preußische Generalmajor Carl von Clausewitz (1780-1831), einer der führenden Kriegstheoretiker des 19. Jahrhunderts, machte sich seine Erfahrungen aus den Feldzügen gegen Napoleon von 1806 und 1807 sowie von 1812 bis 1815 umfassend zunutze. Seine im Werk Vom Kriege (1832) dargelegte Theorie des Krieges stellte in vielerlei Hinsicht eine paradigmatische Wende im militärischen Denken dar, weil sie auch die grundlegende Beziehung von Kriegführung und Politik berücksichtigte. Die folgenden Passagen konzentrieren sich besonders auf die steigende Bedeutung der Infanterie, die besseren Erfolgschancen der Verteidigung gegenüber der Offensive sowie die angestrebte, aber zunehmend erschwerte Zielsetzung eines vollständigen Sieges durch offensive Operationen.

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(Fünftes Buch) Viertes Kapitel: WAFFENVERHÄLTNIS

Wir werden nur von den drei Hauptwaffen reden: dem Fußvolk, der Reiterei und der Artillerie.

Man verzeihe folgende Analyse, die wesentlicher in die Taktik gehört, uns aber zum bestimmteren Denken nötig ist.

Das Gefecht besteht aus zwei wesentlich zu unterscheidenden Bestandteilen: dem Vernichtungsprinzip des Feuers und dem Handgemenge oder persönlichen Gefecht. Das letztere ist wieder entweder Angriff oder Verteidigung (Angriff und Verteidigung sind hier, wo von Elementen die Rede ist, ganz absolut zu verstehen). Die Artillerie wirkt offenbar nur durch das Vernichtungsprinzip des Feuers, die Reiterei nur durch das persönliche Gefecht, das Fußvolk durch beides.

Bei dem persönlichen Gefecht ist das Wesen der Verteidigung, fest zu stehen wie eingewurzelt im Boden; das Wesen des Angriffs ist die Bewegung. Die Reiterei entbehrt die erstere Eigenschaft ganz und genießt die letztere vorzugsweise. Sie ist also nur zum Angriff geeignet. Die Infanterie hat die Eigenschaft des festen Standes vorzugsweise, entbehrt aber die Bewegung nicht ganz.

Aus dieser Verteilung der kriegerischen Elementarkräfte unter die verschiedenen Waffen ergibt sich die Überlegenheit und Allgemeinheit des Fußvolkes im Vergleich mit den beiden anderen Waffen, da sie die einzige ist, die alle drei Elementarkräfte in sich vereinigt. Ferner wird hieraus klar, wie die Verbindung der drei Waffen im Kriege zu einem vollkommeneren Gebrauche der Kräfte führt, weil man dadurch in den Stand gesetzt ist, das eine oder das andere Prinzip, welches in dem Fußvolk auf eine unveränderliche Weise verbunden ist, nach Belieben zu verstärken.

Das Vernichtungsprinzip des Feuers ist in unseren jetzigen Kriegen offenbar das überwiegend wirksame, demungeachtet aber ist ebenso offenbar der persönliche Kampf Mann gegen Mann als die eigentliche selbständige Basis des Gefechts anzusehen. Darum wäre also ein Heer von bloßer Artillerie im Kriege ein Unding; ein Heer von bloßer Reiterei aber wäre denkbar, nur würde es von sehr geringer intensiver Stärke sein. Nicht bloß denkbar, sondern auch schon viel stärker wäre ein Heer von bloßem Fußvolk. Die drei Waffen haben also in Beziehung auf Selbständigkeit diese Ordnung: Fußvolk, Reiterei, Artillerie.

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