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Morgan Philips Price über die Arbeiterräte und den Kapp-Putsch (März-April 1920)

Morgan Philips Price, der Mitglied der Labour Partei war und die Teilnahme Großbritanniens am Ersten Weltkrieg kritisiert hatte, berichte von 1919 bis 1923 für den Londoner Daily Herald aus Berlin. Während seiner Zeit dort erlebte Price viele der Ereignisse mit, die das Zwischenkriegsdeutschland prägten, wie den Aufstieg und Einfluss der Arbeiterräte, den Januaraufstand 1919 (auch als Spartakusaufstand bezeichnet) und den Kapp-Lüttwitz-Putsch. In den Anfangstagen des Kapp-Lüttwitz-Putsches beschreibt Price, wie ein Bund aus „Scheidemann-Sozialisten“ und Unabhängigen seinen Beitrag zu einem prodemokratischen Bollwerk gegen das Kapp-Regime und dessen Anhänger leistete. Er argumentiert, dass der Einsatz gewaltloser, kollektiver Aktionen gegen das Kapp-Regime dessen letztliches Scheitern herbeiführte. Außerdem kommentiert er die allgemeinen Spannungen, die im Land durch Gewalt, Klassenkampf und Antisemitismus entstanden waren.

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18. März

In Berlin leben wir jetzt ohne Licht, Gas und Wasser. Die neue Regierung sitzt wie eine Ratte in der Falle. Zunehmend wird deutlich, dass sie nicht nur die Arbeiterpartei, die sozialistischen und die demokratischen Parteien gegen sich hat, sondern dass weite Teile der mittleren und unteren Verwaltung passiven Widerstand leisten. Ich höre, dass gestern in Berlin ein Zusammenschluss zwischen den Sozialisten Scheidemanns und den Unabhängigen erreicht worden ist, die beide ein gemeinsames Vorgehen gegen die neue Regierung beschlossen haben. Ein prominenter Scheidemann-Sozialist hat mir heute morgen gesagt, eine Rückkehr zum Zustand nach dem Sturz der Kapp-Regierung sei unmöglich. Gerade habe ich einen Aufruf zum Generalstreik in Schlesien gesehen, der von Männern des Bürgertums wie von Sozialisten, von Zentrumskatholiken wie von Kommunisten unterschrieben wurde. Andererseits ist nicht zu erwarten, daß die neue Regierung kampflos aufgeben wird, und unter den ungebildeten Mittelschichten und der Bauernschaft in Pommern, Norddeutschland und Ostpreußen findet sie eine bedeutende Anhängerschaft. Antisemitische Propaganda ist die Methode, mit der sie versucht, sich bei den dunklen und ignoranten Elementen der Bevölkerung beliebt zu machen. In der Straße, in der ich wohne, gibt es einen allgemein bekannten Judenhetzer, der nun schon seit einiger Zeit damit beschäftigt ist, Gummiknüppel zur Verwendung bei Pogromen herzustellen.

30. März

Heute morgen hat die Regierung den Arbeitern an der Ruhr ein Ultimatum gestellt, innerhalb von 24 Stunden den Arbeiterrat zu entwaffnen und aufzulösen. In einer Rede vor dem Reichstag hat der neue Kriegsminister, Gessler, diese Maßnahme unter Anspielung auf den „Roten Terror“ in Duisburg und anderen westfälischen Städten gerechtfertigt. Legien zufolge, der für den Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes sprach, haben die Sozialisten und die Unabhängigen, die an der Ruhr die Mehrheit haben, beschlossen, gemeinsam gegen die anarchischen und syndikalistischen Elemente vorzugehen, die versuchen, dort eine Sowjetrepublik auszurufen. „Die Arbeiter an der Ruhr“, sagte Legien, der ein äußerst konservativer Gewerkschaftsfunktionär ist, „fordern nur eine Sache – die Entwaffnung der Reichswehr und der gegenrevolutionären Weißen Garden“. Dies entspricht einem Bericht, den ich gerade aus dem Ruhrgebiet bekommen habe, dass die Arbeiter aller politischen Parteien dort ihre Waffen nicht ablegen werden ohne die uneingeschränkte Garantie, daß weder die Reichswehr noch die Sicherheitspolizei in die Kohlereviere geschickt werden.

6. April

Die Nachrichten aus dem Ruhrgebiet lassen erkennen, dass in den meisten Städten Frieden und Ordnung herrscht, aber in einigen Gegenden der neutralen [unbesetzten] Zone gibt es unverantwortliche Banden, gegen die die Sozialisten aller Schattierungen vor Ort Maßnahmen ergreifen. Die Existenz dieser Banden liefert der Junker-Junta genau die Ausrede, die sie braucht, um in das Ruhrgebiet einzumarschieren. Die Berliner Regierung befindet sich in einem Zustand hilfloser Unentschiedenheit, und ihre offiziellen Sprecher verlesen widersprüchliche Erklärungen, je nachdem, ob sie stärker oder weniger stark unter dem Einfluss von General von Watters Hauptquartier stehen. Die Verhandlungen mit Frankreich über eine Besetzung der neutralen Zone gehen weiter. Watters Truppen haben bereits Duisburg erreicht, und die französische Regierung nutzt diesen Vormarsch, um sich das Recht zu sichern, ihr eigenes Besatzungsgebiet auszudehnen.

15. April

Während der Woche des Kapp-Putsches haben sich die reaktionären Kräfte in Deutschland immer weiter konsolidiert. Die Leute hinter dem Kapp-Abenteuer sind zwar oberflächlich gesehen besiegt, haben eigentlich aber dazugewonnen. Dies trifft insbesondere auf Süddeutschland zu. In Bayern sind selbst die Mehrheitssozialisten aus der Regierung, die sich jetzt ausschließlich auf die Parteien der Rechten stützt, ausgeschlossen worden. Die neugegründete bayerische Zentrumspartei und die Bauernpartei sind tendenziell separatistisch und arbeiten mit den Anhängern des Alldeutschen Verbandes zusammen, die lieber ein kleines, reaktionäres als ein großes, revolutionäres Deutschland wollen. Meinen Informationen zufolge befindet sich das Zentrum der Reaktion jetzt in Pommern, welches das spirituelle Mekka und die Vendée des Junkertums darstellt. Hier haben sich die Anführer des Kapp-Abenteuers zusammengerottet, gänzlich ungestört von den Befehlen der Regierung Hermann Müller, sie wegen Hochverrats zu verhaften. Die Gutsherren und ihre Dienstleute hier sind gut bewaffnet, und viele baltische Regimenter verteilen sich über ihren Grundbesitz, deren Soldaten ihre Waffen mitgebracht haben. Unter den Feldarbeitern dieser Gegend gibt es eine starke sozialistische und kommunistische Bewegung, aber da die Arbeiter völlig entwaffnet sind, ist die gesamte Region auf Gedeih und Verderb den Junkern ausgeliefert.

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