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Bruno Taut, Programm des Arbeitsrates für Kunst (1918)


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„Arbeitsrat für Kunst“ in Berlin


In der Überzeugung, daß die politische Umwälzung benutzt werden muß zur Befreiung der Kunst von jahrzehntelanger Bevormundung, hat sich in Berlin ein Kreis einheitlich gesinnter Künstler und Kunstfreunde zusammengefunden. Er erstrebt die Sammlung aller verstreuten und darum sich zersplitternden Kräfte, die über einseitige Berufsinteressen hinaus am Neuaufbau unseres gesamten Kunstlebens entschlossen mitwirken wollen. In engster Fühlung mit den Regierungsgewalten und Vereinigung ähnlicher Tendenz wie der Kunstkammer in München, Dresden usw. hofft der Arbeitsrat für Kunst seine nächsten Ziele, die in folgendem Programmauszug angedeutet sind, in nicht zu ferner Zeit durchsetzen zu können.

An der Spitze steht der Leitsatz:

Kunst und Volk müssen eine Einheit bilden. — Die Kunst soll nicht mehr Genuß weniger, sondern Glück und Leben der Masse sein. — Zusammenschluß der Künste unter den Flügeln einer großen Baukunst ist das Ziel. — Fortan ist der Künstler allein als Gestalter des Volksempfindens verantwortlich für das sichtbare Gewand des neuen Staates. Er muß die Formgebung bestimmen, vom Standbild bis hinunter zur Münze und Briefmarke.

Auf dieser Basis werden zunächst sechs Forderungen gestellt:

1. Anerkennung des öffentlichen Charakters aller Bautätigkeit, der staatlichen und privaten Aufhebung aller Beamtenprivilegien. Einheitliche Leitung ganzer Stadtteile, Straßenzüge und Siedlungen, ohne daß die Freiheit im einzelnen beeinträchtigt wird. Neue Aufgaben: Volkshäuser als Vermittlungsstätten aller Künste an das Volk. Ständige Experimentiergelände zur Erprobung und Vervollkommnung baulicher Wirkungen.

2. Auflösung der Kgl. Akademie der Künste, der Kgl. Akademie für das Bauwesen und der Kgl. Preußischen Landeskunstkommission in ihrer bisherigen Gestalt. Ersatz dieser Körperschaften bei neuer Abgrenzung ihres Arbeitsfeldes durch solche, die aus der produktiven Künstlerschaft selbst ohne staatliche Beeinflussung geschaffen werden. Amwandlung der privilegierten Kunstausstellungen in freie.

3. Befreiung des gesamten Unterrichts für Architektur, Plastik, Malerei und Handwerk von staatlicher Bevormundung. Umwandlung des künstlerischen und handwerklichen Unterrichts von Grund auf. Bereitstellung staatlicher Mittel dafür und für Meistererziehung in Lehrwerkstätten.

4. Belebung der Museen als Bildungsstätten für das Volk. Einrichtung ständig wechselnder, durch Vorträge und Führungen dem ganzen Volke dienstbar gemachter Ausstellungen. Ausscheidung des wissenschaftlichen Materials in Zweckbauten. Absonderung technisch geordneter Studiensammlungen für Kunsthandwerker. Gerechte Verteilung der staatlichen Mittel zum Erwerb alter und neuer Werke.

5. Beseitigung der künstlerisch wertlosen Denkmäler sowie aller Bauten, deren Kunstwert im Mißverhältnis zu dem Wert ihres anders brauchbaren Materials steht. Verhinderung voreilig geplanter Kriegsdenkmale und unverzügliche Einstellung der Arbeiten für die in Berlin und im Reich vorgesehenen Kriegsmuseen.

6. Bildung einer Reichsstelle zur Sicherung der Kunstpflege im Rahmen der künstigen Gesetzgebung.

Unterzeichnet ist dieser Aufruf von folgenden Persönlichkeiten: Otto Bartning. Rudolf Bauer. W. C. Behrendt. Joseph Bloch. Theo v. Brockhusen. A. E. Brinckmann. Heinz Braune. Ewald Dülberg. Martin Elsässer. August Grisebach. Walter Gropius. Wilhelm Hausenstein. Franz Heckendorf. Carl Georg Heise. Fritz Hellwag. Ernst Herzfeld. Willy Jaeckel. Walter Kaesbach. César Klein. Käthe Kollwitz. Leo v. König. Bruno Krauskopf. Mechtilde Lichnowsky. Paul Mebes. Hans Meid. Herbert Mueller. Julius Meier-Graefe. Heinrich Nauen. Wilhelm Niemeyer. Rudolf Oldenbourg. Karl Ernst Osthaus. Friedrich Paulsen. Max Pechstein. Friedrich Perzynski. Hans Poelzig. E. Pottner. Heinrich Richter. Chr. Rohlfs. John Schikowski. E. E. Schlieper. Paul Schmitthenner. Hermann Schmitz. Rich. L. F. Schulz. Erik-Ernst Schwabach. Preuß. Finanzminister Hugo Simon. Milly Steger. Georg Swarzenski. Georg Tappert. Bruno Taut. Max Taut. Heinrich Tessenow. Arnold Topp. Wilhelm R. Valentiner. Hermann Voß. Ludwig Wolde. Wilhelm Worringer. — Zustimmungserklärungen werden erbeten an den Arbeitsrat für Kunst, Berlin NW 40, In den Zelten 19.



Quelle: Bruno Taut, „Arbeitsrat für Kunst in Berlin“, Mitteilungen des deutschen Werkbundes, Nr. 4 (1918), S. 14-15.

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