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Arnold Brecht über den Kapp-Putsch 1920 (Rückblick 1966)

Im Zuge der im Versailler Vertrag vorgeschriebenen Demobilisierung des Heeres sollten auf alliierten Druck hin auch die Freikorps aufgelöst werden. General Walther Freiherr von Lüttwitz, Chef des Reichswehrgruppenkommandos I in Berlin, dem zwei Reichswehrdivisionen sowie mehrere Freikorps unterstanden, nahm den Auflösungsbefehl zum Anlass, einen bereits seit längerem mit dem ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp geplanten Putschversuch zu unternehmen. Auf Befehl von Lüttwitz marschierte die Marinebrigade Erhardt in Berlin ein, wo sich Kapp am 13. März 1920 zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten ausrief und Lüttwitz zum Reichswehrminister und Oberbefehlshaber der Reichswehr ernannte. Durch einen ab dem 15. März 1920 laufenden Generalstreik sowie die Weigerung der Ministerialbürokratie, den Anweisungen der Putschisten Folge zu leisten, wurden diese aber gezwungen, am 17. März 1920 aufzugeben. In den großen Industriegebieten hielten die Streiks weiter an und wurden letztlich durch Truppenentsendung unterdrückt. Auch die Gewerkschaften und die USPD setzten den Streik bis zum 22. März 1920 fort, um ihre politischen Forderungen durchzusetzen, was letztlich eine Schwächung der Demokratie bedeutete. Insgesamt wurde durch den Kapp-Putsch die zweifelhafte Loyalität der Reichswehr deutlich.

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In der Nacht auf den 13. März wurde ich in Steglitz gegen drei Uhr morgens von der Reichskanzlei angerufen, ich solle zu einer plötzlich einberufenen Kabinettssitzung kommen. Als ich ankam, war die Sitzung gerade vorüber. Ebert und die Minister kamen die Treppe vom ersten Stock in die Eingangshalle herunter. Sie hatten in der Nacht die Nachricht erhalten, daß Ehrhardts Brigade auf Berlin marschierte. Zwei Generäle, die ihr von Noske entgegengeschickt wurden, hatten ein Ultimatum zurückgebracht, und als Noske daraufhin die bei ihm versammelten Generäle aufforderte, militärisch vorzugehen, hatten sie sich – mit Ausnahme des Generals Reinhardt – gegen ein solches Vorgehen ausgesprochen mit der von General von Seeckt gegebenen Begründung: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr.“ Um 7 Uhr sollte, wenn das Ultimatum nicht angenommen wurde, der Einmarsch stattfinden. Noske hatte erklärt, er sei bereit, sich mit einer Kompanie mit Maschinengewehren im Tiergarten in den Weg zu legen und zu schießen, überzeugt, dann würde der ganze Spuk vorüber sein. Aber die Reichsregierung hatte in ihrer nächtlichen Sitzung beschlossen, sofort nach Dresden auszuweichen, um nicht gefangen und handlungsunfähig zu werden.

Ich sollte mit Staatssekretär Albert zunächst zurückbleiben. Der Pressechef Ulrich Rauscher händigte mir, als er mit Ebert und den Ministern das Haus verließ, einen Aufruf zum Generalstreik ein, unter dem in seiner Handschrift die Unterschriften der sozialdemokratischen Regierungsmitglieder standen, und bat mich, ihn an die Presse weiterzugeben. [ . . . ] Ebert und die Minister verließen das Reichskanzlerhaus, ich gab den Aufruf weiter [ . . . ] und ging in mein Amtszimmer.

Inzwischen fing der Morgen an zu grauen. Es war eine seltsam geisterhafte Lage. Ich überlegte mir, was ich noch tun könne. Jeder Minister hatte es übernommen, seinen Staatssekretär zu benachrichtigen. Ich erinnerte mich, wie nackt nach der ersten Revolution die ersten Erlasse der Volksbeauftragten ohne autoritativen Behördenstempel ausgesehen hatten. Daher ließ ich mir vom Büro alle Metallstempel des Reichskanzlers und der Reichskanzlei geben, steckte sie in meinen Mantel, um sie später zu Bruder Gustav in seine Privatwohnung nach Steglitz zu schicken [ . . . ]. Ich telefonierte ihn gegen 6.30 Uhr an. „Guten Morgen, Gustav. Ich sitze hier in der Reichskanzlei. In einer halben Stunde findet ein Putsch statt. Die Reichsminister sind von Berlin fortgefahren, um von außerhalb den Widerstand zu organisieren. Ein Generalstreik wird ausgerufen. Was würdest du an meiner Stelle in dieser halben Stunde tun?“ Er sagt: „Was du tun kannst, weiß ich nicht. Aber ich weiß, was ich tun werde. Ich werde unsere Badewanne voll Wasser laufen lassen.“ Von früheren Erfahrungen wußte er, daß die Unterbrechung der Wasserversorgung das Unangenehmste bei einem Streik war. [ . . . ]

Es folgte eine weitere Reihe operettenhafter Situationen. Um 7 Uhr klingelte es an der Eingangshalle und herein traten drei Zivilisten; Staatssekretär Albert trat ihnen entgegen. Sie fragten ihn: „Sind Sie der frühere Staatssekretär der Reichskanzlei?“ Er antwortete: „Ich bin in der Tat der Staatssekretär der Reichskanzlei, aber nicht der frühere, sondern der gegenwärtige.“ Außerdem empfahl er ihnen, die Hüte abzunehmen. Einer sagte entschuldigend, sie hätten gedacht, dies sei nur ein Vorraum. Albert empfahl ihnen aber, trotzdem die Hüte abzunehmen, was auch geschah. Er erkannte Herrn von Falkenhausen, den er von früher her kannte. „Wir kennen uns ja“, sagte er. Es ergab sich die stille Frage, ob man sich unter solchen Umständen die Hand gäbe. Es geschah nicht. Herr von Falkenhausen stellte die beiden anderen Herren vor; es waren Herr Kapp und Herr von Jagow. Albert drehte ihnen den Rücken und zog sich durch die Gartenpforte auf seine im Garten gelegene Wohnung zurück, wo wir uns verabredet hatten, später zusammenzutreffen.

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