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Arnold Brecht zur Novemberrevolution (Rückblick 1966)

Ab dem 22. Oktober 1918 wurde die deutsche Hochseeflotte in Wilhelmshaven konzentriert, da die Seekriegsleitung – ohne Rücksprache mit der Reichsregierung – einen strategisch sinnlosen Vorstoß der Flotte in die Nordsee plante. Bereits am 28. Oktober kam es zu ersten Befehlsverweigerungen, die sich nach Erteilung des Auslaufbefehls am 29. Oktober deutlich ausweiteten. In Wilhelmshaven wurden etwa tausend Meuterer verhaftet und daneben fünf Linienschiffe nach Kiel verlegt, wo weitere Verhaftungen stattfanden. Soldaten und Matrosen solidarisierten sich mit den Inhaftierten, forderten auf Massenveranstaltungen ihre Freilassung und bildeten Soldatenräte. Der Matrosenaufstand entfachte eine revolutionäre Massenbewegung, die von der überwiegenden Kriegsmüdigkeit genährt wurde.

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Die Revolution begann bekanntlich nicht in Berlin oder im Ruhrgebiet, überhaupt nicht bei den Arbeitern, und auch nicht bei den Führern der beiden sozialistischen Parteien, sondern in Wilhelmshaven und in Kiel bei den Matrosen. Sie begann mit einer Auflehnung der Matrosen gegen eine Revolte der leitenden Offiziere der Hochseeflotte, die im Begriffe waren, die Politik der verantwortlichen Reichsregierung zu durchkreuzen, indem sie mitten in den Friedensverhandlungen heimlich die Flotte zu einer letzten großen Seeschlacht gegen die britische Flotte auslaufen ließen. In Wilhelmshaven wurde die Auflehnung der Matrosen unterdrückt. In Kiel siegte sie.

Als die Kieler Matrosen nun plötzlich die Macht über die im Hafen liegenden Kriegsschiffe und die Stadt in Händen hielten und führerlos umherirrten, gelang es dem am 4. November von den Sozialdemokraten auf Wunsch der Reichsregierung nach Kiel entsandten sozialdemokratischen Referenten des Marineetats im Reichstag, Gustav Noske, mit großem Mut und Geschick, sie unter seine Führung zu bringen und im Zaume zu halten. Die Admiralität und die Matrosen erkannten ihn willig als Gouverneur von Kiel an. Kiel wurde beruhigt.

Aber der Funke war inzwischen auf Lübeck, Hamburg und Bremen übergesprungen, weil im Anfangsstadium Matrosenabteilungen sich auf die Bahn gesetzt und in den Hansestädten die schwachen militärischen Garnisonen ohne Mühe zu sich herübergezogen hatten. Am 6. November waren alle drei, Lübeck, Hamburg und Bremen, von den Revolutionären besetzt, am 7. auch Hannover. Am gleichen Tage siegte die Revolution unabhängig von den Matrosen in München. Auch Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Leipzig, Halle, Braunschweig und Magdeburg fielen schon am 7. November.

Nach Berlin waren die Matrosen nicht gekommen. Die Berliner Revolution hatte vielmehr eine selbständige Vorgeschichte. Dort warteten die Arbeitermassen und viele bürgerliche Kreise atemlos auf die freiwillige Abdankung des Kaisers, die Prinz Max von Baden Tag für Tag vergeblich herbeizuführen suchte. Noch am 6. November, also nach dem Sieg der Kieler Revolution, fand General Groener, Ludendorffs Nachfolger als Generalquartiermeister, in einer Berliner Aussprache mit Mehrheitssozialdemokraten und Gewerkschaften die Vertreter der Sozialdemokratie „durchaus verständig”, wie er im November 1925 als Zeuge in dem sogenannten Dolchstoßprozeß in München aussagte. Von keiner Seite, sagte er, ist damals „ein Wort gefallen, das darauf schließen ließ, daß die Herren etwa auf eine Revolution hinstrebten. Im Gegenteil: von der ersten bis zur letzten Äußerung ist nur davon gesprochen worden, wie man die Monarchie erhalten könne.“ Zum Schlusse habe Ebert folgenden Vorschlag gemacht: „Die Abdankung des Kaisers sei unumgänglich notwendig, wenn man den Übergang der Massen ins revolutionäre Lager und damit die Revolution selbst verhindern wolle. Er schlage daher vor, daß der Kaiser noch heute, am 6. November, spätestens morgen, am 7. November, freiwillig seine Abdankung erkläre und einen seiner Söhne, vielleicht Prinz Eitel Friedrich, in Vertretung des Sohnes der Kronprinzen mit der Regentschaft betraue.“

Groener fügte hinzu, daß er den Vorschlag damals abgelehnt habe. „Und so bekenne ich mich schuldig“, sagte er, „daß ich an diesem 6. November nachmittags nicht auf den Vorschlag von Ebert eingegangen bin und nicht sofort gesagt habe: ‚Herr Ebert, ein Mann, ein Wort. Wir wollen zusammengehen: Ich sorge dafür, daß der Kaiser abdankt, und Sie sorgen dafür, daß die Sozialdemokratische Partei hinter Sie tritt und die Monarchie verteidigt.’ So wie ich den Abgeordneten Ebert kennengelernt habe, bin ich überzeugt, er wäre darauf eingegangen. Also, meine Herren, wenn Sie mich schuldig sprechen wollen, dann steht es Ihnen offen zu sagen: Herr General Groener hat am 6. November die bodenlose Torheit begangen – natürlich nicht absichtlich –, diesen Vorschlag des Abgeordneten Ebert nicht anzunehmen. Vielleicht wäre die Möglichkeit gewesen, die Monarchie zu retten, aber auch nur vielleicht; denn es war schon ziemlich spät.“*



*Zitiert nach Carl Herz,Geister der Vergangenheit, Haifa, 1953 (metall.), S. 190.

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