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Altes und neues Europa (Februar 2003)

Die von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unternommene Unterscheidung zwischen dem „alten Europa“ (vor allem Frankreich und Deutschland) und dem „neuen Europa“ (Süd- sowie Mittel- und Osteuropa) trifft im „alten Europa“ auf einen wunden Punkt. Rumsfeld unterstreicht damit die bestehenden Schwächen einer gemeinsamen EU-Außenpolitik.

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Falke, Hahn, Taube
Washingtons Schmähung trifft die Europäer im Augenblick der größten Uneinigkeit


Wie schnell doch eine Banalität zur Beleidigung wird: Donald Rumsfelds treffendes Wort vom „neuen Europa“, dessen Schwerpunkt sich von West- nach Mitteleuropa verschiebe, erfreute sich als geostrategischer Schlüsselbegriff schon vor Jahren großer Beliebtheit. Besonders in Paris, dem Hort des „alten Europa“, wo viele nach dem Mauerfall um die eigene Rolle fürchteten.

Rumsfelds Schmähung trifft die Europäer im Augenblick der Uneinigkeit. Ihre gern beschworene gemeinsame Außenpolitik ist noch immer ein Wolkenkuckucksheim, in dem jeder sein eigenes Nest bauen kann, ob britischer Falke, deutsche Taube oder gallischer Hahn. Zu besichtigen war das am Montag, als in Brüssel die EU-Außenminister nur ein Minimum an Einigkeit erarbeiten konnten: Die Inspektoren, so forderten sie, sollen mehr Zeit bekommen. Was jedoch geschieht, wenn die Zeit abgelaufen ist, oder wie die vier EU-Mitglieder Großbritannien, Frankreich, Spanien und Deutschland im UN-Sicherheitsrat abstimmen werden, jeder für sich oder (was in Brüssel kaum einer glaubt) alle zusammen für Europa, war nicht einmal bei geschlossenen Türen ein Thema.

Aus Rumsfeldscher Perspektive wirkt alles klar: Sein Wort vom „alten Europa“ geißelt die unbotmäßige deutsch-französische Entente. Spanien, Portugal, Italien dagegen trägt der Landvermesser des Pentagon in die Karte des braven neuen Europa ein. Doch Rumsfeld könnte sich täuschen: Spaniens Premierminister José Maria Aznar, dessen Ansehen derzeit unterm Ölteppich zu verschwinden droht, hat nicht nur die linke Opposition, sondern auch alle Umfragen gegen sich, wenn es um eine spanische Sekundanz beim Angriff auf Bagdad geht. Und in Italien fürchtet der Populist Silvio Berlusconi nichts so sehr wie Volkes Stimme (klar gegen Krieg) und den Papst, der Frieden predigt. Die italienische Begeisterung für den Befreier vom Faschismus verblasst allmählich, ähnlich wie in Deutschland. Spanien fühlt seit Jahrzehnten amerikakritisch, der Verbündete heißt dort also nur Aznar. Die Niederländer, sonst hurtige Atlantiker, zögern in heikler innenpolitischer Lage: Wir laufen den Amerikanern nicht brav hinterher, beteuert ihr Außenminister. Der belgische Nachbar, dort sitzt immerhin die Nato, pocht ganz im Spiegel seiner Geschichte auf Diplomatie, bis zum allerletzten Augenblick.

So gerät das neue Europa bei näherem Hinsehen kleiner, als es aus der Ferne wirkt. Rumsfelds Zorn auf die bockbeinigen Freunde Frankreich und Deutschland weckt zudem Erinnerungen: Als vor 40 Jahren die beiden den Elysée-Vertrag unterschrieben, befiel die Amerikaner wie die Atlantiker in Europa ein Grausen. Ein Bündnis im Bündnis, mitten im Kalten Krieg, das ging zu weit, weshalb der Bundestag den Vertrag durch eine Präambel zurechtstutzte. Und jetzt zum 40. Jubiläum des Vertrags fast ein Remake.

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