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Deutschland und Russland (13. März 2006)

Der Leiter der Forschungsgruppe Russland/GUS am Forschungsinstitut „Stiftung Wissenschaft und Politik“, das die Bundesregierung in außenpolitischen Fragen berät, weist auf die engen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland hin, die sich seit 1990 entfaltet haben. Russland ist für Deutschland ein wichtiger Energielieferant, während umgekehrt die Bundesrepublik der wichtigste Ansprechpartner Russlands in Europa ist. Allerdings sind die Beziehungen nicht frei von Problemen.

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Deutschland und Russland – „strategische Partner“?

Die beiden größten Völker Europas konnten sich schon wegen ihrer dominierenden Rollen auf dem eurasischen Kontinent nie gleichgültig sein. Die deutsch-russischen Beziehungen waren stets von widersprüchlichen Gefühlen geprägt, wobei sich Bewunderung, Abneigung, Angst und romantische Zuneigung mehr vermischten als abwechselten.*


Deutsche und Russen kämpften gemeinsam gegen Napoleon, teilten wiederholt Polen unter sich auf, fanden sich nach den Winkelzügen der Diplomatie auf verschiedenen Seiten der Fronten des Ersten Weltkriegs wieder, um dann mit dem Rapallo-Pakt gegen die westlichen Siegermächte gemeinsame Sache zu machen. Verblendet von Hitlers Blut- und Bodenideologie zogen die Deutschen kurz darauf in den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und mussten sich auch von der Roten Armee vom eigenen Regime befreien lassen – mit Gräueltaten auf beiden Seiten. Der Siegerstolz trat an die Stelle des Hasses auf die Deutschen. Für viele Angehörige der sowjetischen Streitkräfte wurde die DDR zum Sinnbild eines freundlichen, neuen Deutschlands. Die deutsche Teilung allerdings empfand die russische Bevölkerung als widernatürlich, und daher setzte in russischen Augen die Wiedervereinigung einen versöhnenden Schlusspunkt unter eine nicht nur für Deutsche, sondern auch für Russen unbegreifliche Fehlentwicklung in den Beziehungen zwischen beiden Ländern.

Diese haben sich seit 1990 auf pragmatische Weise erfreulich entwickelt. Die deutsch-russischen Beziehungen zeichnen sich heute durch eine beträchtliche Breite aus. Das hat Tradition – erinnert sei nur an die deutsche Auswanderung nach Russland sowie an die vielen deutschen Kaufleute und Industriellen, die vor dem Ersten Weltkrieg in Russland wirkten.** Deutschland ist, gemessen am Warenumsatz, der Haupthandelspartner Russlands und wird es noch so lange sein, bis in einigen Jahren voraussichtlich China diesen Platz einnehmen wird. Deutschland importiert, wie auch die Niederlande und Italien, aus Russland vor allem Erdöl und Erdgas. Bei den russischen Importen nimmt Deutschland mit deutlichem Abstand zu allen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern den ersten Platz ein und ist Russlands Hauptlieferant von Investitionsgütern. Für Deutschland, das vor allem mit den EU-Ländern wirtschaftlich verflochten ist, rangierte Russland im ersten Halbjahr 2005 bei den Einfuhren an 10. und bei den Ausfuhren an 14. Stelle.***

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Dass die deutsch-russischen Beziehungen eine derartige Dynamik entfalten, hat damit zu tun, dass viele Faktoren, welche geeignet sind, die Beziehungen zwischen Ländern zu stören, im Falle Deutschlands und Russlands entfallen. Es gibt keine ungeklärten Grenzfragen, keine ethnisch-religiösen Konflikte und keine Rivalität um Weltherrschaft auf der internationalen Bühne. Als Restposten des Zweiten Weltkriegs bleibt die endgültige Regelung der „Beutekunst“-Frage – eine zähe Angelegenheit, aber sicher kein „großer Konflikt“. Auch Kaliningrad/Königsberg ist kein Zankapfel zwischen Deutschland und Russland, sondern eher Gegenstand gemeinsamer Sorge um die Entwicklung dieser durch ihre Randlage benachteiligten Region.



* Vgl. Gerd Koenen, Der Russland-Komplex, München 2005, S. 15ff.
** Vgl. Dittmar Dahlmann/Carmen Scheide (Hrsg.), "... das einzige Land in Europa, das eine große Zukunft hat". Deutsche Unternehmen und Unternehmer im Russischen Reich im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Essen 1998.
*** Vgl. Statistisches Bundesamt, Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel 2004, www.bundesstatistik.de (1.2.2006)

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