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Ein türkischer Laden in Kreuzberg signalisiert Fortschritte bei der Integration (März 2005)

Ein Reporter beschreibt, wie ein türkischer Zeitungsladen im Berliner Bezirk Kreuzberg erst dann erfolgreich wurde, als sein Besitzer sich nach den Bedürfnissen seiner deutschen Klientel richtete. In dem kleinen Laden sieht der Autor ein Vorbild für pragmatische Integration.

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Der Laden von Tacettin Akgül


Zuerst gab es nur Zigaretten. Zigaretten und Zeitungen. Und farbige Journale. Spiegel, Stern und Superillu. Einen großen Stapel BZ, zwei kleinere Stapel Morgenpost und Tagesspiegel, zwei noch kleinere Stapel Berliner und die ZEIT. Und dann noch die taz. Zwei oder drei Exemplare. Damit war der Bedarf an Tageszeitungen für diese Straße gedeckt.

In dieser auch an sonnigen Tagen grauen und von Hunden verschmierten Eylauer Straße am Rande Kreuzbergs, kurz vor der Brücke nach Schöneberg. Eine namenlose Straße, die außer den paar Bewohnern und dem Postboten keiner kennt, nicht der Taxifahrer und nicht die eingefleischtesten Kreuzberger Patrioten. Restaurants, die hier eröffneten, schlossen bald wieder, Frisöre, Bäcker oder gar Feinkostgeschäfte haben in dieser Straße kaum Überlebenschancen. Nur Holst am Kreuzberg, das Vereinslokal von Hertha mit dem Spielautomaten, der schlechten Musik und den fünf Gestalten am Tresen hält sich hier noch. Und der kleine Zeitungsladen. Zeitungen und Zigaretten kann man überall verkaufen.

Doch Zeitungen und Zigaretten gibt es auch am anderen Ende der kurzen Straße, und deshalb machte Tacettin Akgül das, was so viele seiner Landsmänner vor ihm auch schon taten: Er fuhr zum Fruchtmarkt, kaufte Obst und Gemüse und drapierte Äpfel, Birnen und Tomaten möglichst malerisch neben seiner Ladentür. Vielleicht lag es an dem schmucklosen Fünfzigerjahrebau gegenüber, an der Kriegsbrache nebenan, an der vielen Hundescheiße, die nicht zu dem Gemüse paßte, vielleicht lag es auch daran, daß schon bald zweihundert Meter weiter ein Konkurrent eröffnete, bei dem Äpfel und Birnen nur die Hälfte jenes Preises kosteten, den Herr Akgül verlangte: Aldi. Hätte er seine Aprikosen, »die besten Aprikosen, die man je in Berlin gegessen hat«, in der Bergmannstraße angeboten, es wäre wahrscheinlich keine einzige übriggeblieben. Auch bei einem Preis von 3 Euro nicht. In der Eylauer Straße aber hatten auch die besten Aprikosen Berlins keine Chance.

Also überlegte er sich etwas anderes. Räumte die Obstkisten wieder beiseite, stellte einen Kühlschrank hin mit Butter, Gouda, Milch, mit Mettwurst, Schinken, Joghurt. Räumte ein Regal voll mit Nudeln und Tomatenmark, Marmeladen und Nutella. All dem, was die Menschen in der Eylauer Straße eben so aßen. Und die Menschen in der Eylauer Straße waren eben fast alle Deutsche. Mit Fünflitereimern türkischen Joghurts, Knoblauchwürsten und Fladenbrot hätte Herr Akgül in der Eylauer Straße schnell verspielt.

Aber nicht nur das Warenangebot ist deutsch. Auch der Ton in Herrn Akgüls kleinem Laden ist deutsch. Es ist der trotzige Witz der Berliner Rentner mit ihren Sprüchen, der schnoddrig-charmante Stil der Bierbüchsenkäufer, der klagende und kritisierende Ton jener, die jetzt irgendwie »von Stütze« und auch noch hier in der Straße leben. Sie alle haben viel zu erzählen, und da ihnen sonst kaum noch einer zuhört außer dem Bäcker, dem Zeitungsverkäufer und dem Wirt, deshalb erzählt auch Herr Akgül. Er erzählt, egal, ob es nur um ein Päckchen Streichhölzer oder um eine Kiste Sekt geht, die er verkauft. Er lacht eben lieber, macht seine Witze. Was bleibt ihm übrig, wenn er nicht trübselig werden will? »Dreihundertsechzig Euro«, sagt er und schiebt dem Kunden das Päckchen Camel hin.

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