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Der Journalist Josef Joffe denkt über die Quellen deutschen Stolzes nach (2001)

Auf der Grundlage seiner großen internationalen Erfahrung kommentiert der Journalist Josef Joffe die absehbare Polarisierung der Öffentlichkeit über der Frage, ob die Deutschen auf ihr Land stolz sein sollten, wobei er eine Wiederbelebung lärmenden Nationalismus ablehnt und stattdessen für eine stille Zufriedenheit mit dem zivilisierenden Lernprozess der Nachkriegszeit eintritt.

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Deutsch und stolz
Worauf? Auf die Demokratie, die europäische Bindung und die Abkehr von der alten Arroganz


Wer wirklich Geld hat, protzt nicht; wer stolz auf sein Land, Kind oder Schaffen ist, wirft sich nicht in die Brust. Auf diese trommeln Gorillas, um sich Mut zu machen; es ist eine Gebärde der Unsicherheit. „I am proud to be an American“ oder „Je suis fier d'être français“ sind Parolen, die man in ungebrochenen Nationalstaaten recht selten hört. In Amerika wehen die Sternenbanner so beiläufig über dem Postamt wie hier die bunten Wimpel an der Tankstelle. In Frankreich fehlt dem republikanischen Gestus ebenfalls der pathetische Anstrich; er ist blau-weiß-rote Normalität. Beiläufigkeit auch in der Bundesrepublik? Noch nicht. Das zeigt die jüngste Aufwallung der „schwatzenden Klasse“, die sich zwischen Castor (noch nicht da) und BSE (halb verblasst) breit gemacht hat. Das Szenario hätte man zuvor schon der Festplatte entnehmen können, läuft es doch nach bekannt-bewährtem Muster ab. Da bekennt einer (Laurenz Meyer von der CDU): „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Daraufhin wird ihm nahe gelegt (von dem Grünen Jürgen Trittin), sich doch gleich als Skinhead zu outen. Jetzt beginnt die Empörung zu schäumen und Nachahmungstäter zu animieren. Also breitet Guido Westerwelle (FDP) ebenfalls seinen Nationalstolz aus, also bekennt der Bundespräsident (SPD), dass er eigentlich gar nicht so stolz auf sein Land sei. Schließlich stehen die Chöre wieder fest vereint zur Linken wie zur Rechten und versuchen einander wütend die Gesangsberechtigung zu entziehen. Wie schön, dass in dieser unordentlichen Welt wenigstens auf die Lagerbildung Verlass ist – wie zuletzt während der Fischer-Furore, als der deutsche Biografiekrieg fein säuberlich die alten Reihen festigte.


Wenn die Gefühlspolitik das Politikgeschäft ersetzt

Alles nur Wahlkampfgetöse? Das ist es auch, muss sich doch die Opposition verzweifelt mühen, irgendein Thema zu finden, das die flinkfüßige Neue Mitte nicht schon besetzt hätte. Gestern machten die Schröderisten noch mutige Reformpolitik, heute, da 2002 immer näher rückt, verteilen sie wieder reichlich Geschenke an ihre Klientel. Da kann die Union derzeit schlecht von links attackieren, um dem „kleinen Mann“ Sicherheit vor dem unaufhaltsamen Wandel zu verheißen. Also von rechts, was den Vorteil hat, dass man nicht Programme und Personen, sondern bloß Symbole feilhalten muss. Nationalstolz kostet nix, heischt auch nicht die Qual der Wahl zwischen verfeindeten Führungsfiguren in der Partei und widerstreitenden Interessengruppen im Land. Bequem ersetzt so Gefühlspolitik das Politikgeschäft.

Dennoch griffe zu kurz, wer diesen Streit ums Nationale bloß als vordergründiges Lagergezänk verstehen wollte. Anderswo würde der Satz „Ich bin stolz, ein X zu sein“ nicht einmal zitiert, geschweige denn zerrissen werden. In Deutschland aber gibt es derlei Gelassenheit nicht, kann es sie auch nicht geben. Noch schlimmer: Wörtchen wie „gelassen“, gar „unverkrampft“ sind Kodierungen, die in der Paarung mit „Vergangenheit“ oder „Nation“ nichts anderes als Verkrampfung signalisieren. Das sind die Lieblingsvokabeln jener, die furchtbar gern die eine entsorgen und die andere wieder mystifizieren wollen – im Dienste einer verquasten Metaphysik, die das breite völkische Wir zum Bollwerk gegen das Andere und das Fremde macht. Wer „unverkrampft“ sagt, ist unehrlich.

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