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Kommunalpolitik in Halle (29. Mai 1994)

In dem Interview des Deutschlandfunks mit dem Oberbürgermeister von Halle, Klaus Rauen, der vorher als Stadtdirektor in Bonn tätig war, werden die Probleme der Kommunen im Osten Deutschlands angesprochen. Zu diesen Problemen gehören der Verlust von Einwohnern, Schwierigkeiten der Finanzierung und hohe Personalaufwendungen.

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Interview mit dem Oberbürgermeister von Halle

Das folgende Gespräch mit Klaus Rauen, CDU, Oberbürgermeister von Halle, sendete der Deutschlandfunk am 29. Mai 1994 als Interview der Woche. Die Fragen stellte Gerd Breker.



DLF: Letzten Monat, meine Damen und Herren, haben die Mitglieder des Deutschen Städtetages in einem dramatischen Manifest zur Rettung der deutschen Großstädte aufgerufen. Sie beklagen Wohnungsnot, wachsende Kriminalität und ansteigende Finanznot. Wir wollen uns heute über die Probleme einer ostdeutschen Großstadt informieren. Klaus Peter Rauen, Sie sind Oberbürgermeister der größten Stadt Sachsen-Anhalts, der Saale-Stadt Halle; Sie sind Mitglied der CDU. Herr Rauen, Halle hatte 1990 rund 320 000 Einwohner. Sind es die noch, oder hat die Abwanderung in den Westen die Einwohnerzahl Halles gesenkt?

Rauen: Wir haben leider nur noch 300 000, ungefähr, d. h. also, wir haben 20 000 Einwohner verloren, wobei der größte Anteil dieses Einwohnerverlustes auf die unmittelbare Nachwendezeit zurückgeht, wo natürlich ein sehr abrupter Abfluß von Menschen stattgefunden hat, und diese Entwicklung ist aber noch nicht vollkommen zum Stillstand gekommen, nur, es ist kein Strom mehr, sondern es tröpfelt, und das kann beruhigen. Es ist aber nicht nur die Abwanderung, die uns Sorgen macht, sondern die Zahlen, die Einwohnerzahlen können dann richtig verstanden werden, wenn man weiß, daß auch die Geburtenrate sich halbiert hat, d.h. also, wir haben einen Sterbeüberhang. Es werden viel weniger Kinder geboren, und es sterben wegen der stärkeren Altersjahrgänge mehr Leute, so daß sich auch von daher ein Minussaldo ergibt. Es kommt also diese negative Bevölkerungsentwicklung mit der Abwanderung zusammen, und das führt dann insgesamt zu Verlusten, die in Halle nicht überproportional sind; in anderen Großstädten liegt das ähnlich.

DLF: Herr Rauen, Sie persönlich sind vor vier Jahren von Bonn am Rhein – Sie waren dort Stadtdirektor – an die Saale gekommen. Sie kennen also die kommunalen Schwierigkeiten West wie Ost. Wenn Sie sich an ihren ersten persönlichen Eindruck erinnern: Was war das herausragend andere im Osten im Vergleich zum Westen?

Rauen: Ich will es mal ganz nüchtern sagen. Es war der katastrophale Zustand der Städte, was Infrastruktur, was Gebäudezustand, was Industrie- und Gewerbezustand anging. Ich habe jetzt nicht auf die psychologischen Faktoren hingewiesen, die sicherlich bei diesem Unterschied, wenn man die Menschen betrachtet, auch noch ins Gewicht fallen. Ich will einfach nur mal diese äußeren Zustände schildern. Wenn – wie z. B. in Halle – in einer durch den Krieg relativ wenig zerstörten Stadt in der Innenstadt 11 000 Wohnungen unbewohnbar leerstehen, als ein schreckliches Erbe der DDR, dann wird daraus deutlich – das entspricht etwa einer Wohnbevölkerung von 35 000 bis 40 000 Leuten –, daß diese Städte in einem Maße gelitten haben, das man sich im Westen kaum vorstellen kann. Und wenn man weiß, daß die Infrastruktur – um nur ein Beispiel zu nennen – etwa einen Aufwand im Bereich der Abwasseranlagen für eine Stadt wie Halle allein über zwei Milliarden ausmacht, um z.T. nicht vorhandene Kanalisation zu schaffen, um Kanalisation zu reparieren, um völlig unzureichende Abwasseraufbereitungsanlagen herzustellen, dann wird vielleicht an diesen Beispielen deutlich, wie schwer der Kern der Städte getroffen ist und wie schwer es diese Städte haben, nun wieder einigermaßen Anschluß zu finden an ihre westlichen Partner.

DLF: Sie haben die hohen Kosten einer Kommune schon angesprochen. Lassen Sie uns zur Finanzsituation grundsätzlich kommen, und zwar zur Einnahmeseite der Städte. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hier in dieser Stadt hat für das Jahr ’92 die Einnahme ostdeutscher Städte an der Gewerbesteuer beziffert auf 8 % dessen, was im Westen eingenommen wird. Das Institut hat ausgerechnet, daß der Anteil an der Einkommensteuer für die Kommune im Osten bei 26 % von dem liegt, was im Westen eingenommen wird, und selbst bei der ertragsunabhängigen Grundsteuer kommen die Städte in Ostdeutschland lediglich auf die Hälfte des Westniveaus. Können Sie den Trend für Ihre Stadt bestätigen, und was bedeutet das eigentlich für die kommunale Selbstverwaltung angesichts dieser minimalen Einnahmen?

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