GHDI logo


Strukturelle Anpassungen (29. Oktober 1993)

Nach drei Jahren Berufstätigkeit in Magdeburg zieht ein westdeutscher Journalist Bilanz. Er erzählt von den Anfangsschwierigkeiten, die vor allem im Bereich der Kommunikation deutlich waren, beschreibt die Entwicklung der Medienlandschaft und die Schwierigkeiten im Umgang zwischen Ost- und Westdeutschen. Er schließt mit einem Hinweis auf seinen eigenen Beitrag zur Wiedervereinigung: er hat eine Magdeburgerin geheiratet.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 3


Als Lenin-Büsten auf den Müll wanderten

Die Vereinigung lässt immer noch auf sich warten/ Ein Wessi in Magdeburg zieht nach drei Jahren Bilanz/ Versicherungskonzern residiert im Thälmann-Haus

Als Klaus Blume im Sommer 1990 für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) nach Magdeburg ging, um dort das Regionalbüro Magdeburg aufzubauen, war der Übergang von der DDR zur deutschen Einheit in vollem Gange. Am 1. November 1993 nun wechselt Blume als Auslandskorrespondent für dpa nach Mexiko-Stadt. Für HORIZONT zieht er die Bilanz nach drei Jahren Ostdeutschland.



Die Tage Lenins im „Thälmann Haus“ waren ebenso gezählt wie die der Republik. Auf den Fluren des finstren Granitbaus stapelten sich die Texte des russischen Revolutionärs. Sie waren im letzten Sommer der DDR genau so wenig gefragt wie die im Keller zu Bergen aufgetürmten Flaggen früherer Schwesterparteien und Massenorganisationen. Im einstigen Machtzentrum des Bezirks Magdeburg übte der scheidende Hausherr, die SED-Nachfolgepartei PDS, den Kapitalismus, indem sie überzählige Beschäftige feuerte und Büros an Privatfirmen vermietete. Weil auf die Schnelle partout keine anderen Räume aufzutreiben waren, zog auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) im Juli 1990 in die Gerhart Hauptmann Strasse 16, eine bis zur Wende als Sitz der Magdeburger SED-Bezirksleitung weithin gefürchtete Adresse. Im dritten Stock des Thälmann-Hauses begann ich meine Magdeburger Korrespondententätigkeit zu einer Zeit, als das Telefonieren von Ost nach West bei Tage fast unmöglich war. Der Trabi war noch das häufigste Auto auf der Strasse, und die D-Mark hatte gerade erst die „Alu-Chips“ abgelöst. Damit fuhr man zum Einkaufen nach Helmstedt oder Braunschweig.

Inzwischen kann man auch in Magdeburg und Umgebung gut einkaufen, Hamburg ist telefonisch so leicht erreichbar wie Leipzig oder Berlin, und im Thälmann-Haus residiert nach dem Auszug der PDS längst ein großer deutscher Versicherungskonzern. Seit gut drei Jahren lebe ich als Wessi in Magdeburg. Magdeburg, oft als graue Stadt des Schwermaschinenbaus verschrien, ist seither farbiger geworden. Rote Dachziegel sorgen ebenso für Lichtblicke wie sanierte Fassaden, die aus bisher monoton graubraunen Straßenzügen hervorstechen. Dutzende von Baukranen drehen sich für den Aufschwung Ost, der aber am wichtigsten Industriezweig der Stadt, dem Maschinenbau, bisher vorübergangenen ist.

Tausende Westdeutsche arbeiten in Magdeburg viele blieben Fremde, andere wurden als Wossis halb Wessi, halb Ossi heimisch.

Als einer der ersten Übersiedler von West nach Ost hatte ich im Juli 1990 noch zu DDR-Zeiten meinen Hauptwohnsitz nach Magdeburg verlegt. Damals schien es noch ein kleines Wunder, als die Techniker mein Ein-Mann Büro- über einen PC und eine Standleitung an das dpa-Netz anschlossen, und damit an den Rest der Welt. Wenn heute die ostdeutschen dpa-Büros ihre Nachrichten über einen Satelliten austauschen, vergisst man schnell die Zeiten, als Leitungsstörungen das Büro oft tagelang lahmlegten. Statt per Knopfdruck die Meldungen vom Magdeburger zum Berliner Bildschirm zu schicken, musste man sie dann über knackende Telefonleitungen nach Ost-Berlin diktieren sofern man durchkam.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite