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Vergangenheitsaufarbeitung und Straßenumbenennungen (18. September 1991)

Straßennamen sind von hohem historischen Symbolwert, und Kämpfe um die Benennung bzw. Umbenennung von Straßen begleiten regelmäßig Regimewechsel. Nach dem Untergang des kommunistischen Regimes im Jahre 1990 wurde die Umbenennung vieler Berliner Straßen vorgenommen und viele davon gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik. Die Auswahl bestimmter Straßennamen und die Ausklammerung anderer werden in diesem Artikel unter die Lupe genommen.

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Überlebt Wilhelm die Straßen-Schlacht?
Pieck und die Hohenzollern in einer Stadt/ Gedanken vor dem Umbenennungs-Endspurt

Seit Monaten tobt um den Osten eine „Straßen-Schlacht“. Im Streit um die DDR-belasteten Straßennamen treten höchst unterschiedliche Auffassungen über Vergangenheitsbewältigung zutage. Die Wogen werden beim Umbenennungs-Endspurt im letzten Viertel dieses Jahres wieder höherschlagen. Der folgende Beitrag soll noch einmal einiges zu denken und zu bedenken geben, bevor neue Tatsachen geschaffen sind.



Als die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte im Mai mit 37 von 68 Stimmen eine Um- oder Rückbenennung der Wilhelm-Pieck-Straße abgelehnt hatte, schallte es durchs Berliner Abgeordnetenhaus: „Geschmacklosigkeit“, „Wahnsinn mit Methode“ und „Ohrfeige für Berlin“. Die Kompetenz der Abgeordneten in Mitte, der Bezirke überhaupt wurde angezweifelt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jochen Feilcke, der bereits symbolisch Straßenschilder der Otto-Grotewohl-Straße in Wilhelmstraße überklebt hatte, forderte auf, die Verantwortung für die Straßenumbenennungen „sofort dem Senat zu übertragen“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Landowsky, drängte auf eine Änderung des Berliner Straßengesetzes. Ziel war eine schnelle, möglichst flächendeckende Umbenennungsaktion im Osten der Stadt. Stichtag 3. Oktober. Ähnlich der „konzertierten Aktion“ im thüringischen Gera, bei der zum 1. März sechzig Straßen umbenannt wurden. Inzwischen nun sollen die Umbenennungen unter Verantwortung der Bezirke möglichst zeitgleich vom 1. Oktober bis 31. Dezember erfolgen.


Vergangenheit soll schnell abgeworfen werden

Die hitzigen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate waren äußerst medienwirksam, ging und geht es doch um geschichtliche Symbole, die in Umbruchzeiten schon immer große Bedeutung hatten. Wo man sich vielleicht Abstand und differenzierende Sichten gewünscht hätte, wird offenbar auf Tempo gedrückt. Die Stadt sollte schnell „mit ihrer Vergangenheit fertig“ sein. Bereits im November 1990 standen auf einer Liste mit rund 230 Vorschlägen, ausgewählt von der Arbeitsgruppe „Straßenumbenennungen“ beim 1. Stellvertreter des damaligen Ost-Berliner Oberbürgermeisters, unter anderem Namen wie Arnold Zweig, August Bebel, Bernhard Lichtenberg, die Pariser Kommune, Dietrich Bonhoeffer, die Geschwister Scholl, Heinrich Heine, Heinrich Mann oder Frank Wedekind. 1673 briefliche Vorschläge bezogen sich auf 283 Straßennamen. Auffallend war, wie wenig offensichtlich unterschieden wurde zwischen „stalinistischen Altlasten“ und demokratischen, humanistischen Traditionen, an die auch Straßenschilder im Osten erinnern.

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