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Heiner Müller über den Ausverkauf der DDR (30. Juli 1990)

In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel äußert der ostdeutsche Schriftsteller Heiner Müller das Unbehagen vieler Intellektueller angesichts des raschen Tempos der Vereinigung. Er sagt voraus, dass die Einführung der D-Mark nicht ohne problematische Folgen bleiben wird und sinniert traurig über die Diskreditierung des sozialistischen Traums von einer besseren Zukunft.

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„Jetzt ist da eine Einheitssoße“
Der Dramatiker Heiner Müller über die Intellektuellen und den Untergang der DDR



SPIEGEL: „Was hier abläuft, ist ja keine Vereinigung, sondern eine Unterwerfung.“ Das ist Originalton Heiner Müller von Mitte Juli über die deutsche Einheit. Unterwerfung setzt Zwang voraus. Werden die DDR-Bürger tatsächlich zur Einheit gepreßt?

MÜLLER: Überhaupt nicht. Sie wollten diese Einheit und wollen sie wahrscheinlich immer noch. Sie haben sich das nur anders vorgestellt. Was da jetzt passiert, ist eine ökonomische Unterwerfung.

SPIEGEL: Wie hat der DDR-Bürger Heiner Müller sich denn die Vereinigung erträumt?

MÜLLER: Es ist sinnlos, irgendeinem Traum nachzujammern, der sich nicht erfüllt hat.

SPIEGEL: Aber beschreiben kann man ihn.

MÜLLER: Das ist nicht so einfach. Man hält mich immer für einen Menschen, der unmittelbar an Politik interessiert ist. Das ist Unsinn. Ich bin interessiert am Schreiben, an einigen anderen Dingen, und Politik ist ein Material, genau wie alles andere.

[ . . . ]

SPIEGEL: Herr Müller, Sie haben sich immer als DDR-Schriftsteller empfunden, obwohl Sie sich nur im Westen entfalten konnten. Was ist das komplizierte Verhältnis zwischen Ihnen und diesem Staat, der jetzt zu Ende geht?

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