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Bismarcks Rede im Norddeutschen Reichstag zur Verteidigung seines Verfassungsentwurfs (11. März 1867)

Im vorliegenden Dokument verteidigt Bismarck seinen Verfassungsentwurf für den Norddeutschen Bund. Es gab allerdings zwei zentrale Probleme, die seine liberalen Kritiker im Reichstag beunruhigten. Erstens wünschten sie, dass die Staatssekretäre des Reichs umfassend zur Rechenschaft gegenüber dem Parlament verpflichtet seien. Zweitens verlangten sie volle parlamentarische Kontrolle über das Militärbudget, was in Preußen von 1862 bis 1866 eine kontroverse Frage gewesen war. Doch die Liberalen mussten das so genannte eherne Gesetz akzeptieren, das Deutschlands Militärbudget und die Friedensstärke seiner Armee bis 1871 in einem unveränderlichen Verhältnis zur Bevölkerung festlegte. In seiner Rede berührt Bismarck auch viele Themen von unmittelbarem Interesse für Deutschlands übrige Bundesstaten, darunter das Schicksal sowohl ihrer eigenen Landtage als auch des deutschen Zollvereins.

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Es hat nicht unsere Absicht sein können, ein theoretisches Ideal einer Bundesverfassung herzustellen, in welcher die Einheit Deutschlands einerseits auf ewig verbürgt werde, auf der andern Seite jeder particularistischen Regung die freie Bewegung gesichert bleibe. Einen solchen Stein der Weisen, wenn er zu finden ist, zu entdecken, müssen wir der Zukunft überlassen, einer solchen Quadratur des Cirkels um einige Decimalstellen näher zu rücken, ist nicht die Aufgabe der Gegenwart. Wir haben uns zur Aufgabe gestellt, in Erinnerung und in richtiger Schätzung, glaube ich, derjenigen Widerstandskräfte, an welchen die früheren Versuche in Frankfurt und Erfurt gescheitert sind, diese Widerstandskräfte, so wenig als es irgend mit dem Zweck verträglich war, herauszufinden. Wir haben es für unsere Aufgabe gehalten, ein Minimum derjenigen Concessionen zu finden, welche die Sonderexistenzen auf deutschem Gebiete der Allgemeinheit machen müssen, wenn diese Allgemeinheit lebensfähig werden soll; wir mögen das Elaborat, was dadurch zu Stande gekommen ist, mit dem Namen einer Verfassung belegen oder nicht; das thut zur Sache nichts. Wir glauben aber, daß wenn es hier angenommen wird, für das Deutsche Volk die Bahn frei gemacht worden ist, und daß wir das Vertrauen zum Genius unseres eignen Volkes haben können, daß es auf dieser Bahn den Weg zu finden wissen wird, der zu seinen Zielen führt.

(Bravo.)

Wenn zu diesem Zweck, nach unserer Ansicht wenigstens, das Gegebene hinreicht, so begreife ich vollständig, daß viele Wünsche unbefriedigt bleiben, daß man daneben noch eine Menge anderer Dinge gewünscht und gleich gewünscht hätte. Ich begreife aber nicht, wie man, weil diese Wünsche bisher unerfüllt geblieben sind, das Gebotene ablehnen will und dabei doch behaupten, man wolle überhaupt eine Verfassung, die Deutschland zur Einheit führen könne. Es sind Einwendungen bisher laut geworden und Wünsche geltend gemacht von zwei Seiten: ich möchte sagen von der unitarischen und von der particularistischen Seite; von der unitarischen dahin gehend, daß man auch von diesem Verfassungsentwurf, wie von dem früheren, die Herstellung eines constitutionellen verantwortlichen Ministeriums erwartet hat. Wer sollte dieses Ministerium ernennen? Einem Consortium von 22 Regierungen ist diese Aufgabe nicht zuzumuthen; es würde sie nicht erfüllen können. Ausschließen können Sie aber 21 von 22 Regierungen von der Theilnahme an der Herstellung der Executive eben so wenig. Es wäre der Anforderung nur dadurch zu genügen gewesen, daß eine einheitliche Spitze mit monarchischem Charakter geschaffen wäre. Dann aber, meine Herren, haben Sie kein Bundesverhältniß mehr, dann haben Sie die Mediatisirung derer, denen diese monarchische Gewalt nicht übertragen wird. Diese Mediatisirung ist von unsern Bundesgenossen weder bewilligt, noch von uns erstrebt worden. Es ist hier angedeutet worden, man könne sie mit Gewalt erzwingen; von anderen: sie werde sich zum Theil von selbst ergeben, und letzteres von einer mir nahestehenden Seite. Wir erwarten dieses nicht in dem Maße und glauben nicht, daß Deutsche Fürsten in größerer Anzahl bereit sein werden, ihre jetzige Stellung mit der eines Englischen Pairs zu vertauschen. Wir haben ihnen diese Zumuthung niemals gemacht und beabsichtigen nicht, sie ihnen zu machen;

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