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Illustrierte Zeitschriften als Hebel zur Volksbildung (1868)

Der folgende Text erschien in der Illustrirten Zeitung (Leipzig), die von Johann Jacob Weber (1803-1880) herausgegeben wurde. Die Illustrirte Zeitung war die erste illustrierte Zeitschrift in Deutschland und hatte großen Erfolg. Sie kam von 1843 bis 1944 einmal in der Woche heraus und enthielt Abbildungen, die Szenen aus aller Welt darstellten. Ihre Beliebtheit legt nahe, weshalb illustrierte Zeitschriften sich eher als die Tageszeitungen zu den ersten Massenmedien in Deutschland entwickelten. Wenn politische Nachrichten in Form von Federzeichnungen und Holzschnitten anschaulich gemacht werden konnten, bekamen sie eine neue Aura. In diesem Artikel verteidigt ein anonymer Verfasser die illustrierten Zeitschriften, da sie die ästhetische Erziehung der Öffentlichkeit förderten.

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Nicht ohne eine gewisse Emphase hat man darauf hingedeutet, daß die periodische Illustrationsliteratur den Geschmack des Publikums, zum Schaden seiner Verstandsbildung, allzu sehr auf die Anschaulichkeit richte, daß das Streben nach Belehrung in den Hintergrund gedrängt werde von der inhaltsleeren Sucht nach bloßer Befriedigung der Neugier, man hat von einem Ueberwuchern des Textes und seines Gedankenstoffes durch die Illustration gesprochen, ja diese geradezu eine Feindin jedes ernsthaften Studiums genannt.

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Gewiß gibt es viele Leser – wenn man sie noch so nennen darf – welche die Illustrirte Zeitung hauptsächlich der Bilder wegen in die Hand nehmen; aber diese werden ohne diese Bilder vielleicht gar nichts von dem sonstigen Inhalt erfahren, weil ihnen überhaupt das Interesse an geistiger Beschäftigung mangelt; ja es steht mit Wahrscheinlichkeit zu vermuthen, daß erst durch die auf ihre Anschauung wirkenden Abbildungen gerade ihr Interesse geweckt und ihre Aufmerksamkeit auf den beschreibenden Text hingelenkt wird.

Doch dieser geistigen Trägheit einzelner gegenüber steht die frische Empfänglichkeit der überwiegend großen Mehrzahl der Leser, welche aus den Illustrationen, in Verbindung mit dem erläuternden Text, die reichste und vielseitigste Nahrung ihres Geistes ziehen; eine Nahrung, welche, da sie nicht allein dem Verstande, sondern auch der Anschauung geboten wird, ebendarum eine um so größere Kraft lebendiger und nachhaltiger Wirkung auf ihren Geist ausübt.

Sehen wir jedoch von den Sonderbeziehungen ab, um die oben aufgeworfene Frage von einem höhern und allgemeinern Gesichtspunkte zu betrachten. In erster Linie steht hierbei die tiefbedeutsame Aufgabe, welche die Illustration zu erfüllen berufen ist, nämlich auf umfassendste Weise das, was Wissenschaft und Kunst früher nur der Minorität bevorzugter Geister darzubieten vermochte, im edelsten Sinne des Wortes zu popularisi[e]ren, d. h. zum Gemeingut der Nation zu machen; umfassend nicht nur in Hinblick auf den dargebotenen Stoff, sondern auch in Beziehung auf die Masse der diesen Stoff Empfangenden und in sich Aufnehmenden.

Hierin offenbart sich der wahrhaft culturgeschichtliche Beruf der Illustration namentlich der illustrirten Zeitungslectüre, und zwar in zweifacher Richtung, nämlich nicht nur nach der ästhetischen, sondern auch nach der der instructiven Volksbildung.

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