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Beschwerdebrief der Essener Bergleute an den preußischen König über unzumutbare Arbeitsbedingungen (29. Juni 1867)

Das „Gesetz die Aufsicht der Bergbehörden über den Bergbau und das Verhältnis der Berg- und Hüttenarbeiter betreffend“ von 1860 und Preußens Allgemeines Berggesetz für die preußischen Staaten aus dem Jahr 1865, die dem Grubenbetreiber mehr Eigenständigkeit gegenüber dem Staat einräumten, waren wichtige Schritte hin zur Beseitigung der frühneuzeitlichen Schranken für die Entwicklung einer dynamischen Montanindustrie, doch siebrachten den Grubenarbeitern auch viele Nachteile: Sie versetzten sie in eine nachteilige Lage gegenüber Lohnschwankungen, den Launen profitorientierter Grubenbesitzer sowie im Hinblick auf Krankheit, Erwerbsunfähigkeit und Tod. In diesem Beschwerdebrief von 1867 beklagen sich Bergleute in Essen – einem Teil des sich industrialisierenden Ruhrgebiets – über ihre Arbeitsbedingungen. Ihre Beschwerde richten sie an den König, doch dies hält ihre Arbeitgeber nicht davon ab, das Bittgesuch rundweg abzulehnen. Nicht allzu lange danach traten die Bergleute in Essen in den Streik – eine neue Form des kollektiven Protests, welche die deutschen Arbeitgeber dazu veranlasste, von Streiks als einer die deutsche Industrie befallende „Cholera“ zu sprechen.

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Essen, den 29. Juni 1867 [ . . . ].

Allerdurchlauchtigster, großmächtigster König!

Allergnädigster König und Herr!

Die alleruntertänigst unterzeichneten Bergleute im Kreise Essen wagen es, durch die immer größer werdende Not dazu getrieben Ew. Majestät Throne zu nahen, und mit der gehorsamsten Bitte einer gnädigsten Berücksichtigung Folgendes alleruntertänigst vorzutragen:

Nachdem durch das Gesetz vom 20. Mai 1860 „die Aufsicht der Bergbehörden über den Bergbau und das Verhältnis der Berg- und Hüttenarbeiter betreffend“ [ . . . ] die Abschließung der Verträge zwischen den Bergeigentümern und den Bergleuten lediglich dem freien Übereinkommen derselben überlassen ist, und eine Mitwirkung der Königlichen Bergbehörde bei Annahme und Entlassung der Bergleute, sowie bei Festsetzung und Zahlung des Schicht- und Gedingelohnes nicht mehr stattfindet, findet die Festsetzung der Arbeitszeit und des Arbeitslohnes von den Gewerkschaften (d.h. den Kapitalisten) ganz nach ihrem Belieben statt. Von ihnen ist seitdem die Arbeitszeit zwangsweise so übermäßig verlängert worden, daß bei der ohnehin schon so ungesunden Arbeit viele Bergleute bereits mit 30–35 Jahren arbeitsunfähig werden, zudem die Gewerke [= Unternehmer] unsern Lohn auch so niedrig gestellt haben, daß er kaum hinreicht, uns die nötigsten Lebensbedürfnisse zu verschaffen. Sie betrachten uns nur als willenlose Maschinen und Arbeitsinstrumente, deren Arbeitskraft sie zu ihrem Vorteile möglichst ausnutzen können; denn wie wenig bei Festsetzung der Arbeitszeit von einem „freien Übereinkommen“ die Rede ist, werden Ew. Majestät aus folgenden Angaben ersehen.

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