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Bericht der Auschwitzflüchtlinge Alfred Wetzler und Rudolf Vrba (Ende April 1944)

Am 7. April 1944 gelang den beiden slowakischen Häftlingen Alfred Wetzler und Rudolf Vrba die Flucht aus Auschwitz, dem größten Konzentrationslagerkomplex des NS-Regimes. Das im Süden Polens gelegene Lager Auschwitz setzte sich aus drei Hauptlagern sowie 39 Nebenlagern zusammen, in denen sich zehntausende Insassen zu Tode arbeiten mussten. Im sogenannten Auschwitz II (Auschwitz-Birkenau), dem eigentlichen Vernichtungslager des Komplexes, starben insgesamt mehr als eine Million Menschen.

Wetzler (der sich später Josef Lanik nannte) und Vrba (eigentlich Walter Rosenberg) verbrachten beide ungefähr zwei Jahre in Auschwitz. Wetzler war am 13. April 1942 aus dem Lager Sered in der südlichen Slowakei dorthin verlegt worden, Vrba kam Ende Juni 1942 im Lager an, nachdem er zwei Wochen im KZ Majdanek nahe Lublin in Polen verbracht hatte. Nach ihrer Flucht nahmen Wetzler und Vrba Kontakt zu Vertretern des Judenrates in Zilina (Slowakei) auf und verfassten den folgenden detaillierten Bericht, der die Organisation und Funktion des Lagers enthüllt.

Der Bericht wurde zunächst auf Slowakisch und Deutsch verfasst und später in mehrere Sprachen übersetzt, um auch das Ausland auf die Geschehnisse in Auschwitz aufmerksam zu machen. Ziel des Berichts war es insbesondere, die ungarische jüdische Gemeinde vor ihrer durch das Nazi-Regime geplanten, unmittelbar bevorstehenden Vernichtung zu warnen. Dem Bericht wurde seitens der ungarischen Juden jedoch wenig Glauben geschenkt und konnte deren systematische Deportation, die nach zwei Monaten der Besetzung durch die Nazis ab Mitte Mai 1944 begann, nicht verhindern. Innerhalb von zwei Monaten wurden schätzungsweise 440.000 Juden aus Ungarn deportiert, von denen die meisten nach Auschwitz gebracht wurden.

Die Veröffentlichung des Berichts in der Schweizer Presse erregte aber schließlich im Ausland derartige Empörung, dass sich der ungarische Reichsverweser Admiral Miklós Horthy auf politischen und militärischen Druck vor allem der Alliierten Anfang Juli 1944 gezwungen sah, weitere Deportationen zu verbieten. Nach dem Putsch durch die faschistischen Pfeilkreuzler am 15. Oktober 1944 wurde die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung Ungarns jedoch durch Todesmärsche in Arbeitslager in Österreich fortgesetzt, auf denen Tausende Menschen ums Leben kamen.

Der Vrba-Wetzler-Bericht gehörte 1945 zu den Hauptdokumenten der Anklage in den Nürnberger Prozessen.

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TATSACHENBERICHT ÜBER AUSCHWITZ UND BIRKENAU

[ . . . ]


[Aussage des ersten Flüchtlings*]

Am 13. April 1942 wurden wir -1000 Mann- im Sammellager Sered einwaggoniert. Die Wagentüren wurden geschlossen, weshalb wir die Fahrtrichtung nicht feststellen konnten. Als die Türen nach langer Fahrt geöffnet wurden, konstatierten wir, dass wir die slowakische Grenze passiert haben und uns in Zwardon befinden. Die Bewachungsmannschaft, welche bis hierher durch die Hlinka-Garde gestellt wurde, wurde durch die Waffen-SS abgelöst. Nach Abkopplung eines kleineren Teiles des Transportes fuhren wir dann weiter und kamen bei Nacht in Auschwitz an, wo wir auf einem Nebengeleise haltmachten. Die Zurücklassung des kleinen Transportteiles erfolgte angeblich wegen augenblicklichen Raummangels in Auschwitz. Übrigens kamen uns diese nach einigen Tagen nach. Wir wurden nun in Fünfer-Reihen gestellt und gezählt. Wir waren [mit] 643 Mann angekommen. Nach einem Marsch von etwa 20 Minuten mit unserem schweren Gepäck - wir sind gut ausgerüstet aus der Slowakei weggefahren - kamen wir in das Lager Auschwitz.

Wir wurden da sofort in eine grosse Baracke geführt. An der einen Seite mussten wir hier das ganze Gepäck abgeben, an der anderen Seite uns völlig nackt ausziehen und unsere Kleider und Wertsachen abführen. Nackt begaben wir uns dann in eine benachbarte Baracke, wo unser Kopf und Körper rasiert und durch Lysol desinfiziert wurde. Beim Ausgang aus dieser Baracke erhielt ein Jeder eine Nummer in die Hand gedrückt. Die Nummern begannen mit 28600 und waren fortlaufend. Mit diesen Nummern in der Hand jagte man uns dann in eine dritte Baracke, wo dann die Aufnahme stattfand. Die Aufnahme bestand daraus, dass uns die in der zweiten Baracke erhaltene Nummer auf eine äusserst brutale Art - wobei viele von uns in Ohnmacht fielen - an die linke Brust tätowiert und unsere Personalien aufgenommen wurden. Wir wurden in Hundertergruppen in einen Keller gebracht, später in eine Baracke, wo wir gestreifte Häftlingskleider und Holzschuhe bekamen. Diese ganze Prozedur dauerte bis 10 Uhr vormittags. Noch am selben Nachmittag wurden uns die Häftlingskleider abgenommen und durch alte schmutzige russische Militärmonturen (eher Monturfetzen) ersetzt. So ausgerüstet wurden wir dann nach Birkenau geführt.


* d.h. Alfred Wetzler – Hg.

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