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Landflucht (1900)

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Und noch ein Gesichtspunkt sei hervorgehoben. Jedes Volk hat nur einen Bauernstand. Man kann aus Landarbeitern Fabrikarbeiter machen. Aber man kann nur sehr schwer aus Fabrikarbeitern eine neue Landbevölkerung schaffen. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, der aus dem Worte spricht, das mir ein bekannter liberaler Parlamentarier einmal sagte: „Lassen Sie uns nur erst diese Landbevölkerung, die sich mit den Junkern verbündet, niederzwingen; dann setzen wir natürlich neues agrarisches Volk an.“

In Italien war nach dem Untergange der beiden letzten großen Bodenreformer Roms, der beiden Gracchen*, dem italischen [sic] Bauernstande das Todesurteil gesprochen. Bis jetzt, d. h. im Laufe von mehr als 2000 Jahren, ist es nicht möglich gewesen, einen neuen freien Bauernstand in Italien heranzubilden, und das gesamte volkswirtschaftliche Leben des von der Natur so reich gesegneten Landes leidet aufs schwerste unter diesem Mangel.

Wie will nun die deutsche Bodenreform-Bewegung in der Landwirtschaft gesunde Zustände herbeiführen und sichern? Ihr Programm fordert, daß „der deutsche Boden unter ein Recht gestellt werde, daß seinen Gebrauch als Werk- und Wohnstätte fördert und jeden Mißbrauch mit ihm ausschließt. [ . . . ]“


* Die Volkstribunen Tiberius Sempronius Gracchus (162-163 v. Chr.) und Gajus Sempronius Gracchus (153-121 v. Chr.) versuchten, dem Rückgang des römischen Bauerntums dadurch zu begegnen, daß staatlicher Grundbesitz, der sich jedoch meistens in den Händen des Adels befand, neu verteilt wurde. Die großzügig angelegten Versuche scheiterten aber an der Vormachtstellung der aristokratischen Schichten im Staate. [Information aus: Ernst Schraepler, Hg., Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland. 1871 bis zur Gegenwart, dritte verbesserte Auflage. Göttingen und Zürich: Muster-Schmidt, 1996, S. 99.]



Quelle: Adolf Damaschke, Die Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung der sozialen Not. Jena, 1900. Auszug aus dem III. Teil, „Bodenreform und Agrarproblem“.

Abgedruckt in Ernst Schraepler, Hg., Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland. 1871 bis zur Gegenwart, 3. neubearbeitete und erweiterte Auflage. Göttingen, 1996, S. 97-99.

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