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Status und Pflichten eines Volksschullehrers: Eine Selbstdarstellung (um 1890)

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Mit Freuden ist zu begrüßen, daß der Eifer, mit dem die Lehrer für die Erfüllung ihrer Wünsche in Rang und Titelfragen eintreten, übertroffen wird von dem Eifer, mit dem sie in der neuern Zeit sich den feinen gebildeten Umgangston und die gesellschaftlichen Formen zu eigen zu machen suchen. Mehr denn je wird als notwendig erachtet, daß jeder eine Sicherheit und Festigkeit im Verkehr besitzen müsse, die sich niemals verleugnen dürfe, auch am Spieltisch und auf dem Tanzboden nicht, wie ein feiner Kenner des gesellschaftlichen Taktes sagt. Offenheit und Wahrhaftigkeit soll sich mit Mäßigung und Rücksicht paaren, das Äußere ebensowenig ins Altmodische, wie in die Ziererei des Gecken verfallen.

Wir verkennen nicht, daß trotz der umfangreichern Bildung für einen großen Teil der Lehrer auch jetzt und später noch die Forderung, der gesellschaftliche Takt solle so zum Eigensten des Lehrercharakters gehören, daß er mit der gleichen Sicherheit wie eine grammatische Regel unbewußt beobachtet werde, schwierig zu erfüllen ist. Wie viele sind in der Lage, den Mangel an gebildetem Umgange, namentlich mit gebildeten Frauen zu ersetzen, den Mangel, unter dem die Ausbildung oder die Erhaltung des gesellschaftlichen Taktes immer leidet? Auch in der neuern Zeit bietet sich ihnen dazu nicht ausreichend Gelegenheit. Die Herkunft, die Ausbildung im Internat der kleinen Stadt, das Leben in der kleinen Landgemeinde: alles begründet eher den Mangel als die Mittel zur Abhilfe. Präparandenanstalten und Seminare sind jetzt mehr denn früher der Pflicht eingedenk, daß sie auch auf diesem Gebiete Aufgaben zu erfüllen haben; es könnte darin hier und da wohl noch mehr geschehen, und Leiter und Lehrer würden sich den wärmsten Dank ihrer Schüler erwerben.

[ . . . ] Nicht ohne Grund sucht man die Ursachen so mancher im Verkehr abstoßenden Eigenheiten der Lehrer in der Neigung, ihr Ansehn und ihre Stellung den Schülern gegenüber auch im Umgange mit den Erwachsenen geltend zu machen, ihren Beifall und ihre Zustimmung zu allen Bemerkungen und Urteilen zu erwarten, in kleinlicher Weise zu tadeln und ein Wissen zu offenbaren, das endlich jedem lästig wird. Dieses selbstherrliche Wesen ist es, was man im Verkehr als „Schulmeisterei“ bezeichnet und verachtet. Die zunehmende wahre Bildung wird auch hier ihren befreienden Einfluß nicht verleugnen.

Wesentlich ist bei der gesellschaftlichen Stellung des Lehrers auch die Wahl seiner Frau. Wir haben dieser Frage vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit bisher in der Geschichte des Lehrerstandes geschenkt und übersehen, wieviel für seine Berufsthätigkeit und für sein Ansehn in der Gemeinde und in der Gesellschaft davon abhängt. Wir haben nur erwähnt, daß Behörden die Lehrer vor dem frühen Heiraten warnten, wobei nicht immer in Betracht gezogen wurde, daß junge Lehrer, in ein ärmliches Dorf verschlagen, oft gezwungen wurden, bald einen Hausstand zu gründen, weil sie in dem ganzen Ort keine Beköstigung fanden. Wirksamer als solche Warnungen, die übrigens vom Lehrerstande niemals ungünstig aufgenommen worden sind, wäre allerdings ein auskömmliches Gehalt gewesen. Ist es nicht aufs tiefste zu beklagen, daß manche Lehrer infolge ihres dürftigen Einkommens ihre Frauen in den untern und ungebildeten Ständen suchen mußten? Der feine Umgangston, die angenehme Häuslichkeit, die sich nicht bloß in der gesamten Einrichtung, sondern ebenso sehr in der Art und Weise zeigt, wie die Familie speist, und wie sie sich kleidet, wird von niemand besser gepflegt und bewahrt als von einer gebildeten Hausfrau, und es ist daher zu verstehen, was ein Lehrer entbehren muß, dessen Lebensgefährtin unter seiner Bildung steht. Von der Wahl seiner Gattin hängt nicht bloß sein Glück ab, sondern häufig auch sein ganzer Einfluß in der Gemeinde. Das haben die wenig bedacht, die den Lehrer in Dürftigkeit ließen, so daß er weder den Wert gebildeter Frauen schätzen lernen, noch auf eine solche Anspruch machen konnte. [ . . . ] Wenn die Lehrer nach einer bessern Besoldung ringen, so schwebt ihnen dabei als herrlicher Preis auch die Gründung eines Hausstandes mit einer ihrer Bildung und ihrem Stande ebenbürtigen Gattin vor. Der Segen, der vom evangelischen Pfarrhause, dem Hort für edle deutsche Sitte und dem Muster schöner Häuslichkeit, ausgeht, soll in gleichem Maße auch vom Schulhause für die ganze Gemeinde ausgehen.

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