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Status und Pflichten eines Volksschullehrers: Eine Selbstdarstellung (um 1890)

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Riehls harter Ausspruch, daß der Lehrerstand sich aus dem bürgerlichen Proletariat rekrutiere, um nachher das geistige Proletariat zu bilden, enthält in seinem ersten Teile leider etwas Wahres; der zweite Teil wäre nicht einmal auf den ganzen Lehrerstand der 20er Jahre unsers Jahrhunderts zutreffend gewesen; auf den Lehrerstand der Gegenwart bezogen, ist er ein Zeichen von Unkenntnis oder von Hochmut. Die Begriffe von Bildung und wissenschaftlicher Bildung sind so dehnbar, so verworren, daß es ganz auf den Standpunkt des Beurteilers ankommt, ob er bestimmte Stände und Beamtenklassen zu den gebildeten Ständen zählt oder nicht. Der deutsche Volksschullehrerstand darf heute erwarten, daß man ihn zu diesen rechne. Er darf es, nicht bloß, weil jetzt in allen Bundesstaaten die Seminarbildung mindestens drei Jahre währt, sondern weil die Auswahl der Lehrfächer und der Umfang der Wissensstoffe das deutliche Bestreben ausdrückt, den Zöglingen eine solche allgemeine Bildung zu geben, daß sie von den Gebildeten als ihresgleichen anerkannt werden. [ . . . ]

Die größere Tüchtigkeit des Lehrers und die umfassendere Bildung zeigt sich auch in den erhöhten Anforderungen, welche die Gesellschaft an ihn stellt. Er gehört, wie Diesterweg sagt, den geistigen Ständen an, von welchen man die Fortbildung nach allen Seiten verlangt. Man wünscht von ihm, daß er zu allen Dingen in der Gemeinde geschickt sei und sich in ihm die gesamte Volksbildung verkörpert zeige. [ . . . ]

Es gehört Neigung und Gemütsanlage dazu, solchen Forderungen gerecht zu werden, und es ist daher kurzsichtig, den ganzen Stand wegwerfend zu beurteilen, wenn sich nicht alle Lehrer den Wünschen anbequemen. Es erfüllt uns schon mit Befriedigung, wenn wir hören, daß der Lehrer auf irgend eine Weise den Kulturfortschritt in der Gemeinde fördert, gleichviel, ob er an der Hebung der Landwirtschaft und des Obstbaues durch Vorträge und Ratschläge mitarbeitet, oder Handfertigkeitsunterricht erteilt, oder auf den unbenutzten Reichtum hinweist, der in den eßbaren Schwämmen der Wälder liegt, oder die Giftpflanzen kennen lehrt, oder Tierschutzvereine gründet. Recht zu loben ist, wenn er im Dienste der Aufklärung arbeitet und gegen Wahn und Aberglauben kämpft, oder im Dienste der Kunst und der Geschmacksveredlung, indem er Lesevereine gründet und [ . . . ] mit den Bauern an Winterabenden die Gedichte und Dramen unserer großen Dichter mit verteilten Rollen liest.

Daß besonders von den Volksschullehrern die Pflege des vaterländischen Sinnes, die Treue zu Kaiser und Reich erwartet wird, ist selbstverständlich. [ . . . ] In einigen Teilen Deutschlands soll dem Wirken des einfachen Lehrers noch ein anderer Segen folgen, die Stärkung des Deutschtums durch die Einführung oder Erhaltung der deutschen Sprache. Es ist ein durch die Erfolge genugsam erhärteter Grundsatz, daß lange verloren gewesene Stämme dem deutschen Vaterlande durch nichts so sicher wieder gewonnen werden, als durch die einfache Volksschule und das treue Walten der Lehrer. [ . . . ]

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