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Kinderarbeit auf einem pommerschen Gutsbetrieb und ihre Auswirkungen auf den Schulunterricht (1887)

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plötzlich durch schulrätlichen Besuch überrascht werden. [ . . . ] Doch mit unserem Mühen gehts uns so wie dem Arzt, der eine offene Wunde nur durch inneres Medikament heilen will. Unser Arbeiten an den Köpfen der Kinder ist nutzlos. Die Köpfe sind leer, der Geist heruntergefallen in den Rumpf und die Glieder, deren träge Haltung seinen Schlaf bezeugt. Traumverloren, stumpf sitzen die Kinder da, das Auge gläsern, glanzlos. Geistige Frische, Lebendigkeit, sonst Kindern eigen, ist gänzlich geschwunden. Nicht die Rechenstunde, nicht einmal die Gesangstunde kann die Geister wecken. Verzweiflung packt einen schier. Was tun? Können die Kinder selbst helfen durch häusliche Vorbereitung? Unmöglich. Dazu fehlt ihnen Zeit, Kraft und Lust. Uns bleibt nichts als die Wahrnehmung, daß unsere arbeitenden Kinder nach und nach verdummen. [ . . . ] Als ich einen Gutsbesitzer darauf aufmerksam machte, daß der Rübenbau ein wahres Unglück für unsere Volksschule sei, die Beschäftigung der Kinder so manche Schäden für diese nach sich ziehe, meinte er so ungefähr folgendes: In unsern Landschulen wird heute zu viel verlangt. Wenn die Kinder Religion, Lesen und Schreiben und ein bißchen Rechnen lernen, vielleicht auch noch etwas Geschichte, dann wissen sie genug. Geographie, Naturgeschichte, Zeichnen und all diese Fixfaxereien sind eine ungeheure Belastung für die Schule. Kinder, die was lernen, dünken sich klug, wenn sie groß sind, und werden Sozialdemokraten. Leute, die nichts gelernt haben, sind bessere Arbeiter. [ . . . ] Volksschulen, so demonstrierte er weiter, müssen wir haben, ohne die gehts nicht. Zucht und Ordnung muß sein.



Quelle: Lehrer Gossow in Pommersche Blätter für die Schule und ihre Freunde, Stettin, 11, 1887, S.102-6.

Abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul, Peter-Christian Witt, Hg., Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871-1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977, S. 133-35.

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