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Eine junge Berliner Adlige erinnert sich an einen Hausball, Eislaufen und Fahrradfahren (um 1890)

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Natürlich durfte ich nach Belieben ausschlafen, aber zeitig erschienen vor ihrem Frühstück und Schulgang die jüngsten Schwestern Emma und Hildegard in meinem Zimmer. Ich blinzelte nur mit den Augen, sie zählten die Sträuße, studierten die Tanzkarte, lasen die Namen vor und machten ihre Glossen: „Wieder X [ . . . ] und zweimal Y [ . . . ]! Weißt du, das finde ich auffallend!“ Gemurmel aus dem Bett: „Habt ihr eine Ahnung!“

Vor dem Fenster lag auf dem Lehnstuhl das weiße oder rosa schleppende Tüllballkleid, die angegossen sitzende Atlastaille. Davor standen die Atlasschuhe, auf dem Fensterbrett erging sich der helle Federfächer mit dem Spitzentaschentuch, und in die Badewanne hatte ich die den Raum durchduftenden Blumensträuße sorglich gelegt. Jungmädchenzimmer – Stilleben der damaligen Zeit.

Tänzer eines normalen, richtigen Balles war uns der Leutnant, und zwar der Gardeleutnant. Mit den Gardekavallerieregimentern kamen wir weniger in Berührung, bei uns und in den befreundeten Familien herrschte der Gardeinfanterist, insonderheit das von uns bevorzugte zweite Garderegiment zu Fuß. Die vom Alexander ließen wir ebenfalls gelten, die Kaiser Franzer, die Gardefüsiliere und die Gardeartilleristen fielen etwas ab. Gardeingenieure und Gardepioniere gab es für uns nicht.

Die Regimentswichtigkeit der Berliner Gesellschaft hat ihr den Stempel aufgedrückt. [ . . . ] Außenstehende hielten den Berliner Hof und alle irgendwie mit ihm in Verbindung stehenden Kreise für exklusiv aristokratisch, sie hielten Stammbaum und Namen für ausschlaggebend. Bekanntlich war das in Wien, zu einem gewissen Grad auch in München der Fall, nicht jedoch in Berlin. Auch das neueste Adelsprädikat genügte, nur die kleinen drei Buchstaben v, o, n wurden abverlangt. Bedeutungsvoll wirkte jedoch das Regiment, nicht nur auf den Betreffenden, sondern auch auf das Ansehen des Hauses, in dem vorwiegend ein Regiment verkehrte. Sagte man von einer Familie: „Dort wimmelt es von Zweiten Gardedragonern“, war das sehr gut, hieß es „von Gardedukorps“, war das blendend. Jede Tochter reichsunmittelbarer Häuser tanzte bei Hof lieber mit einem neugeadelten Herrn von Kramsta von den Gardekürassieren als mit einem Grafen Schwerin vom dritten Garderegiment zu Fuß. War dieser auch „Uradel“, saß dessen Geschlecht auch seit einem halben Jahrtausend auf der Scholle.

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