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Große Dresdner Familie mit Jahreseinkommen von 1000 Mark (1880er Jahre)

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da wurde alles Alte vom Vater mit verwendet. Weihnachten wurde die Spielküche aufgefrischt (dieselbe stammte aus meiner Jugend und jetzt haben sie die Enkel) und etwas zu kochen hinein gekauft, das hat immer wieder Freude gemacht. Spielzeug wurde nur wenig, aber bessere Sachen gekauft, z.B. Bilderlotto, Domino, Damebrett, Baukasten, ein Kochherd und Soldaten, alles Sachen, die gemeinsam benutzt wurden und noch heute existieren. Eine vom Vater ausgeschnittene Papierpuppe mit verschiedenen Kleidchen machte auch viel Freude, die Mädchen schnitten dann noch welche dazu aus und malten sie möglichst bunt. Es hatten auch die Mädchen jedes eine kleine Puppe; als sie 10 Jahre alt waren, bekamen sie jede eine größere (Leinwandbalg, weil unzerbrechlich), und zwar waren dies die letzten, denn von da an bekamen sie nur noch Fleckchen beschert und dann ging das Schneidern los; das war eine Freude, wenn dann Schürzen, Hemden und Kleider fertig waren. Und was gaben sie sich für Mühe, neue Moden aufzubringen und möglichst gut zu nähen; denn das war meinerseits der Hauptzweck, daß sie dabei spielend etwas lernen sollten, denn ich sagte mir, vom Puppenaus- und -anziehen lernen solche großen Mädchen nichts und das wird auch schließlich langweilig. Auch ich habe mir als Kind meine Puppengarderobe selbst genäht. Ich habe aber die Hände auch nicht in den Schoß gelegt, ich habe dann und wann für die Leute geschneidert; der Verdienst dafür wurde aber nicht mit verwendet, sondern extra gespart. Es hatte auch jedes Kind von der Großmutter ein Sparkassenbuch. Zu den 50 Pf., welche sie zu jedem Geburtstag brachte, legte ich 50 Pf. aus der Wirtschaftskasse und so konnte jedesmal 1 M. fortgeschafft werden. Unsere Kinder haben nicht Not gelitten, sind auch, Gott sei Dank, nie ernstlich krank gewesen, sind aber auch nicht verwöhnt worden. Wie sie klein waren, wurde früh Semmel eingebrockt, später bekamen sie Dreierbrotchen, diese wurden sonntags geschmiert. Zucker zum Kaffee zu nehmen, war nur ein Vorrecht des Vaters, natürlich teilte er öfters ein Stückchen aus. Abends gab es Suppe (größtenteils Brot- und Mehlsuppe) oder eine Tasse Kaffee, Tee, Warmbier u. dergl. Vom Vater, welcher ein Glas Einfach[bier] trank, durfte jedes Kind einmal nippen. Nur sonntags gab es was zum Abendbrot, Wurst oder Käse; meine Kinder freuen sich heute noch, wie gut es ihnen damals geschmeckt. Fünf Kinder haben wir getauft, aber Kindtaufen haben wir nicht gemacht (es war dazu keine Extrakasse angelegt). Verwandte standen Pate und da brauchten wir nur Kaffee und eine Bäbe. Weihnachten wurde aus demselben Grunde nicht gebacken, es wurde jeden Feiertag für 50 Pf. Stollen geholt, der wurde mit Verstand gegessen und verdarb uns den Magen nicht. Es klingt vielleicht gesucht für jeden, der noch nie in der Lage war, reell mit 1000 M. auszukommen und dabei an die Zukunft zu denken, es ist aber in Wirklichkeit so. – Sonntags gingen wir zusammen spazieren, Vesperbrot wurde mitgenommen. Erst beim 4. Kinde, dem Knaben, kaufte ich mir einen billigen Kinderwagen, da konnte ich alle Sonntage, wenn es schön war, mit, während ich mit den ersten Kindern, solange sie im Bettchen mußten getragen werden, sonntags zu Hause blieb. – Wir haben uns bei dem Leben, Gott sei Dank, immer ziemlich wohl gefühlt.



Quelle: Augusta Petri-Dresden, „Aus dreißigjähriger Erfahrung“, inWie wirtschaftet man gut und billig bei einem jährlichen Einkommen von 800-1000 Mark? (Volkswohl-Schriften 28), Dresden, 1900, S. 7-10.

Abgedruckt in Klaus Saul, Jens Flemming, Dirk Stegmann und Peter-Christian Witt, Hg., Arbeiterfamilien im Kaiserreich. Materialien zur Sozialgeschichte in Deutschland 1871-1914. Düsseldorf: Droste, 1982, S. 116-18.

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