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Katholische Sicht der Wirtschaft: Auszüge aus Wilhelm Emmanuel von Kettelers „Die Arbeiterfrage und das Christenthum” (1864)

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Nothwendigkeit ihr Gegentheil hervorruft. So schwanken diese beiden Gegensätze auf Erden wie ein immerwogendes Meer gegeneinander, so lange die Weltgeschichte dauert, und jene Menschen erfüllen unter diesen Verhältnissen die ihnen von Gott gegebene Bestimmung, die sich bestreben, Autorität und Freiheit zuerst in ihrem eigenen Leben, und dann in ihrer Stellung, die ihnen Gott nach Außen gegeben hat, zu versöhnen und zu vereinigen. Diese Grundverhältnisse reflectiren in allen anderen menschlichen Verhältnissen, und sie werfen auch ihr Licht und ihren Schatten auf die Fragen, die wir hier behandeln. Zunftzwang ist eine Beschränkung der Freiheit, der Gewerbefreiheit, repräsentirt also in gewisser Hinsicht die Autorität, die eben den Mißbrauch der Freiheit verhindern und beseitigen soll. Der Zunftzwang war seiner Idee nach ein Schutz für die Arbeiter, eine Art Vertrag zwischen dem Arbeiterstande und der übrigen Gesellschaft. Nach demselben gewährte der Arbeiterstand die nöthige Arbeit, die Gesellschaft aber gewährte den Arbeitern durch Beschränkung der Concurrenz einen höheren Lohn, um ihre Lebensexistenz zu sichern und sie nicht täglichen Schwankungen auszusetzen. Wer einem Anderen eine Arbeit liefert und sein Leben daran setzen muß, der hat an eine gewisse gesicherte Fortexistenz und an den Schutz, daß seine Existenz nicht täglich durch die Concurrenz in Frage komme, ein moralisches Recht. Alle Stände haben einen solchen Schutz durch natürliche und künstliche Schranken. Warum sollte der Arbeiter ihn allein entbehren müssen? Warum sollte der Arbeiter allein täglich sein Leben lang mit dem Gedanken hinter seiner Arbeit stehen müssen: ob ich morgen noch meinen Lohn, von dem ich mit Frau und Kindern lebe, haben werde, weiß ich nicht; vielleicht kommt morgen eine Schaar hungeriger Arbeiter aus einer fernen Gegend und bietet mich ab mit meiner Arbeit, und ich muß mit Frau und Kindern hungern. Der reiche Kapitalist hat in seinem Kapital einen tausendfachen Schutz für seinen Geschäftsbetrieb, die Handelsfreiheit ist in diesen Regionen von einer Seite her doch nur Schein; der Arbeiter aber soll keinen Schutz haben, deßhalb wird das zünftige Gewerbe beschimpft. Damit ist gewiß nicht gesagt, daß der Zunftzwang in seiner Entwickelung fehlerfrei gewesen sei. Die Autorität ist mißbraucht worden, ohne daß deßhalb die Autorität selbst verworfen werden könnte. So ist auch der Zunftzwang, weil er seine gehörige Entwickelung nicht erhalten, im hohen Grade mißbraucht worden. Er hat oft der Trägheit und dem Egoismus gedient, die Waare ungebührlich vertheuert und die Consumenten durch schlechte Waare in ihrem Rechte beeinträchtigt; er bedurfte deßhalb einer Umgestaltung. Aber sein Princip war berechtigt und mußte erhalten werden. Dem Zunftzwang gegenüber steht die Gewerbefreiheit in einem ähnlichen Verhältniß wie der Autorität gegenüber die Freiheit. Auch sie hat ihr Maß der Berechtigung, aber auch ihr berechtigtes Maß der Beschränkung. Der Zunftzwang in seinem Mißbrauche und verknöcherten Egoismus hat den Ruf nach Gewerbefreiheit hervorgerufen. Die Gewerbefreiheit hat die Waaren unermeßlich vermehrt, vielfach verbessert, den ungebührlichen Preis der Waare herabgedrückt und so den weitesten Kreisen der weniger bemittelten Menschenclassen die Befriedigung mancher Lebensbedürfnisse eröffnet, von denen sie früher ausgeschlossen waren. Aber sie hat auch ihre nothwendige Grenze und ihr gesetztes Maß, und wenn diese überschritten werden, so führt sie geradeso zu unseligen Consequenzen wie der mißbrauchte Zunftzwang.

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