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Friedrich Bülaus Ruf nach einer marktorientierten Lösung des Armutsproblems in Deutschland (1834)

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Aber die Not, die [ . . . ] jetzt sich zeigt? Die Armut, die so weit verbreitet ist? Was können, so sagt man, alle deine Theoreme gegen den Augenschein, gegen die Erfahrung beweisen? Der Notstand unsrer Zeit soll also aus einem Mißverhältnisse der Bevölkerung und der Produktion entspringen. Es soll Übervölkerung da oder nahe sein. Wäre dieses der Fall, so müßte es doch zuvörderst sich in den steigenden Preisen der Lebensmittel zeigen. Aber im Gegenteile sind diese fortwährend im Sinken, und ängstliche Landwirte meinen schon: es werde durch die verbesserten Agrikultursysteme zuviel produziert, und die Bevölkerung sei nicht imstande, die jährlich erbauten Früchte zu verzehren. Es ist also Überfluß da an Lebensmitteln und doch sollen zuviel Menschen sein. Darin liegt ein offener Widerspruch. Ja, entgegnet man, der Mensch braucht mehr als Brot, und der Arme kann sich bei allem Überflusse und allen wohlfeilen Preisen oft doch nicht das Notdürftigste verschaffen. So kommen wir also auf zwei ganz andre Ursachen des Notstandes: auf die größeren künstlichen Bedürfnisse der Jetztwelt und auf den geringen Verdienst eines Teils der Bevölkerung.

Bei allen den Räsonnements über das Elend der Gegenwart hat man eine Ursache nur wenig hervorgehoben, die die Erscheinung in einem ganz andern Lichte erblicken läßt: daß nämlich nicht nur die Bevölkerung zugenommen hat, sondern auch der größte Teil derselben erst in der neueren Zeit gewissermaßen auf den vollen Standpunkt natürlicher Konsumtion hinaufgerückt ist. [ . . . ]

Vergleiche man den Standpunkt eines Landmannes oder eines Bürgers und Handwerkers in unsern Tagen mit der Lage derjenigen, die seine Arbeit bei unsern Vorfahren verrichteten, und bald wird man erkennen, daß damals die kleinere Anzahl bequemer leben konnte, weil die größere Anzahl unter den Standpunkt der Genüsse hinabgedrückt war, deren Befriedigung der Mensch als Mensch zu fordern berechtigt ist. Vergleiche man das Einst und Jetzt und man wird aufhören, über eine neu entstandene Armut dieser Klassen zu klagen und ihren Grund in einer zu großen Menschenmenge zu finden; man wird vielmehr über die Masse und über die unendliche Vermehrung der Bedürfnisse staunen, denen die Produktion zu genügen vermag. Ich bemerke aber schon hier, als einen Vorklang des Kommenden, daß die Möglichkeit, die Mehrzahl des Volks in ihre natürlichen Rechte einzusetzen, eben durch ihre Einsetzung in diese natürlichen Rechte selbst bedingt ward; daß auch hier eine Wechselwirkung stattfand, auch hier das gerechteste Verfahren das nützlichste, die Freiheit das Heil war. Sklavenarbeit bleibt Sklavenarbeit; sie kann unter gewissen Bedingungen ihrem Herrn einen größeren Reinertrag abwerfen, der Gesellschaft liefert sie eine geringere Bruttomasse. Freie Arbeit ernährt eine größere Bevölkerung. Eigentum weckt den Eifer zur Verbesserung. Die Gewißheit, seinen Nachkommen die Früchte seiner Arbeit zu hinterlassen, leitet zur Sparsamkeit, und der schimmernde Reichtum, der bei einem Sklavenvolke sich in den Händen weniger Reichen zusammendrängt, ist nichts gegen die Masse der Kapitalien, die sich in weiter Verteilung bei einem freien, arbeitsamen und industriösen Volke bilden. [ . . . ]

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