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Victor Böhmerts Kritik am traditionellen, restriktiven Zunftwesen (1858)

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Prüfen wir nun weiter den Einfluß des Innungswesens und der Gewerbefreiheit auf das Zusammenleben und Zusammenwirken der Gewerbsgenossen, so muß uns sofort als der charakteristischer Unterschied auffallen, daß das Zunftwesen nur gesetzlich angeordnete, die Gewerbefreiheit aber frei gewählte Einigungen schafft. In anderer Weise läßt es sich auch so bezeichnen, daß in den Zünften ein äußeres menschliches Gesetz die Gewerbsgenossen künstlich und systematisch an einander fügen will, während in der Freiheit ein inneres göttliches Gesetz die Gewerbsbrüder zu werkthätiger Liebe und gegenseitiger Hülfeleistung verbinden soll. Wir vermögen mit den letzten Worten nur unvollkommen die Tragweite und Zukunft anzudeuten, welche wir der Association, dieser neuen Gestalt des wirthschaftlichen Zusammenwirkens beimessen. Das genossenschaftliche Element ist ohne Zweifel noch zu einer großartigen Rolle im Wirthschaftsleben der Nationen berufen, um so mehr, da diese Entwickelung durch die erhabenen Lehren des Christenthums erleichtert und gefördert wird. Von dem letztern christlichen Standpunkte aus kann das alte Sprichwort „Concordia res paryae crescunt“ zu deutsch „durch Eintracht wird auch das Kleine groß“ auch noch in einem tieferen Sinne aufgefaßt werden. Wenn wir einer höheren Weltordnung vertrauen und an eine christliche Entwicklung der Menschheit glauben, so dürfen wir auch hoffen, daß die zur Liebe verklärte Eintracht nach und nach selbst die wirthschaftende Thätigkeit der Menschen immer mehr heiligen und fördern werde, daß sie die in ihrer Vereinzelung verkommenden und verarmenden Kräfte zu werkthätigen Gemeinschaften zusammenführen und mit einem Worte das große sociale Problem lösen helfen werde, die große Masse des Volks an den Gewinnen der Production und an dem fortschreitenden Wohlstande immer zahlreicher und gleichmäßiger zu betheiligen.

Dem Beobachter des socialen Fortschrittes der Menschheit kann es nicht entgehen, daß die Bahn in der eben angedeuteten Richtung bereits eingeschlagen ist, daß das Princip der Einigung und Vergesellschaftung schon jetzt eine Reihe segensreicher wirthschaftlicher Institute geschaffen hat, welche mit der Gesammtkraft einer Mehrzahl der Schwäche des Einzelnen zur Stütze dienen, welche die Gefahren abwenden oder mildern, die durch höhere Gewalten über uns hereinbrechen, und welche dadurch die Vermögensunterschiede ausgleichen, oder doch möglichst Viele an dem erhöhten geistigen und leiblichen Wohlbefinden der Gesellschaft Theil nehmen lassen. Wir erinnern nur an die zahlreichen Versicherungsgesellschaften gegen Gefahren aller Art, sodann an die Unterstützungs-, Kranken- und Pensionskassen, an die Creditvereine für Handwerker, die sich allmählich bis in die kleinsten Städte Deutschlands verpflanzen, an die Lese- und Bildungs-Gesellschaften, an die Gewerbevereine, Gesellenvereine, Arbeiterbildungsvereine, die Vereine zur gemeinschaftlichen Anschaffung von Lebensmitteln und Rohstoffen, sowie auch zur Arbeit in gemeinschaftlicher Werkstatt etc. Alle diese Anstalten müssen aber aus der Freiheit oder eigenen Wahl der Betheiligten ersprießen, sie gedeihen viel besser außerhalb der Innungen, ja sie müssen sich in der Mehrzahl sogar auf eine möglichst große Zahl von Theilnehmern erstrecken, wenn sie von wirthschaftlichem Nutzen sein, wenn die Verwaltung nicht zu kostspielig, wenn das Risiko und Opfer des Einzelnen nicht zu groß, seine Dividende nicht zu gering werden soll. Damit fällt auch noch

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