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Victor Böhmerts Kritik am traditionellen, restriktiven Zunftwesen (1858)

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die Friseure lauern den Barbieren und die Barbiere den Friseuren auf; die Tuchhändler dulden nicht, daß die Schneider Tuche und Stoffe führen und verkaufen und die Schneider processiren, sobald die Tuchhändler fertige Kleidungsstücke in ihrem Laden ausstellen. Die Processe sind die Hauptursache der gemeinschaftlichen Geldverwendung von Seiten der Zünfte und einzelne Innungen haben förmliche Advokatenkassen, die natürlich ihrem Zweck gemäß verwendet, d. h. verprocessirt werden müssen. Das Zunftwesen nährt in diesen wie in andern Fällen nur die schnöde Mißgunst und den hämischen Neid. Der Eigennutz spielt jedem einzelnen Menschen schon ohnehin arg mit und macht ihm den sittlichen Fortschritt schwer genug, aber das Zunftwesen macht es möglich, daß dieser Eigennutz auch noch offen ganze sociale Kreise durchdringt und vergiftet, und sich in seinem öffentlichen Auftreten mit dem Schilde des Gesetzes deckt. Wer kann denn Gefallen finden an diesem lieblosen Kampfe, in welchem Bürger gegen Bürger, Classen gegen Classen gegenseitig auf Ertödtung des Gemeinsinns hinarbeiten?

Wir könnten dies unerquickliche Bild der unsittlichen Wirkungen des Zunftwesens noch durch eine Schilderung der Handwerksmißbräuche, des Herbergswesens, der Gesellen- und Meistergelage u. s. w. vervollständigen, allein wir wollen uns lieber zu freundlicheren Seiten unseres heutigen Erwerbslebens wenden. Die Sittlichkeit und Moralität gedeiht, wie wir sehen werden, auch auf dem gewerblichen Gebiet am besten da, wo Freiheit waltet. Die Arbeit ist schon an und für sich ein wesentliches Mittel zur Förderung der Sittlichkeit. Alles, was die Menschen in der Arbeitsamkeit bestärkt, dient daher auch in gewisser Hinsicht dem höheren Zwecke der Sittlichkeit. Nun giebt es aber nichts, was den Menschen mehr zur Thätigkeit anspornt und was die Arbeit freudiger macht, als die Gewißheit, mit der Arbeit sich und der Welt etwas zu nützen und sein Loos zu verbessern. Das Gebot „Bete und arbeite!“ weist das Menschenherz in der einen Richtung dem Himmel und in der andern der Erde zu, das Gebot würde indessen in letzterer Hinsicht ungenügend sein, wenn es nicht zugleich gewissermaßen die Verheißung in sich enthielte, daß sich der redliche Arbeiter auch der Früchte seiner Arbeit erfreuen solle. Das kann aber nicht geschehen, wenn menschliche Gesetze hier unten die Früchte der Arbeit schmälern und verkümmern, wenn sie den freien Gebrauch der menschlichen Kräfte und Fähigkeiten hindern und dadurch den Arbeiter seines gerechten Lohnes berauben.

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