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Victor Böhmerts Kritik am traditionellen, restriktiven Zunftwesen (1858)

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O, ihr Herren, ist es denn nicht besser und gerechter, lieber die große, große Classe der Armen empor- und hereinzuziehen in den Mittelstand? Was ihr vom Staate verlangt, läßt sich etwa in folgenden Worten ausdrücken: „Wir, eine Anzahl von 1000 oder 2000 Bürgern, fürchten zum Theil, Proletarier zu werden, wenn uns unsere Privilegien genommen würden, — also müssen die übrigen 10,000 ärmeren Bürger und Arbeiter Proletarier bleiben und dürfen durchaus nicht in dem Glauben bestärkt werden, daß sie von Natur das Recht und die Freiheit haben, nicht nur zu arbeiten, sondern auch möglichst viel Nützliches und Zweckmäßiges und Lohnendes zu arbeiten.“ — Wir können die Ungerechtigkeit, die sich in unsern Zunftgesetzen fortpflanzt und der ganzen bürgerlichen Gesellschaft nur mehr Elend aufbürdet, nicht besser bezeichnen, als mit den berühmten Worten von Adam Smith, die derselbe schon vor 80 Jahren in seinem Werke über den Nationalreichthum, leider für uns noch immer vergebens, geschrieben hat: „Das Recht, welches jeder Mensch hat, die Früchte seiner eigenen Arbeit zu genießen, so wie es das älteste und ursprünglichste aller Eigenthumsrechte ist, sollte billig auch das heiligste und unverletzlichste sein. Der einzige Schatz eines armen Mannes besteht in der Geschicklichkeit und Stärke seiner Hände; und ihn verhindern, diese Stärke und diese Geschicklichkeit auf die ihm wohlgefälligste Weise ohne Beeinträchtigung irgend eines Menschen zu gebrauchen, heißt das heiligste Eigenthum desselben verletzen. Es ist ein Eingriff sowohl in die natürliche Freiheit nicht nur des arbeitenden Mannes selbst, sondern auch der Personen, die sich seiner Geschicklichkeit bedienen wollen. So wie der eine gehindert wird, zu arbeiten, was ihm gut dünkt, so werden die andern gehindert, den für sich arbeiten zu lassen, welcher ihnen gefällt. Ob ein Mensch zu der Verrichtung, welcher er sich unterzieht, tüchtig sei, kann sicher der Beurtheilung derer überlassen werden, welche seine Arbeit gebrauchen, da es ihr Interesse so unmittelbar und so nahe angeht. Die Besorgnisse des Gesetzgebers, daß sie eine unrechte Wahl treffen möchten, sind eben so unnöthig als die Anstalten, durch welche er dies zu verhüten sucht, drückend sind.“ —

Was ist nach dem Gesagten denn nun eigentlich von dem Vorwurf zu halten, daß die Gewerbefreiheit ein Proletariat schaffe? Das gerade Gegentheil ist wahr. Die Gewerbefreiheit ist das beste und das allein nachhaltige Mitttel, das Proletariat zu beseitigen; denn nur sie gewährt dem Armen die Freiheit, zu erwerben oder zu arbeiten und zwar dasjenige, was nach den Verhältnissen am nützlichsten oder lohnendsten ist. Im Gegensatz dazu beeinträchtigt das Zunftwesen nicht nur alle Nichtzünftigen, welche die Mehrzahl der bürgerlichen Gesellschaft bilden — nein es wird sogar zu einem Fluche für den Gewerbestand selbst, für dieselbe Classe, die ihre Stütze noch in eingebildeten Privilegien sucht, anstatt durch die Segnungen der freien Arbeit und freien Concurrenz ihr eigenes Loos zu verbessern! — Man möge uns nicht mißverstehen, wenn wir gegen die einseitige Bevorzugung des Gewerbestandes eifern. Wir wollen nicht auf ein Verschwinden des Mittelstandes hinarbeiten, nein wir wollen nur die Pforten dieses Standes für alle arbeitenden Classen eröffnet haben und es ist uns der betrübendste Gedanke, daß gerade der Handwerkerstand von Jahr zu Jahr aus dem Mittelstande heraustritt und in das Proletariat übergeht. Man sehe doch nur die Entwickelung der letzten Jahrzehnte an. Ist denn nicht die Verarmung

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